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Santiago liegt gleich um die Ecke

Santiago liegt gleich um die Ecke

Titel: Santiago liegt gleich um die Ecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Albus
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der Straße und schaut mich an wie jemanden, der in Ruhpolding nach dem Brandenburger Tor fragt. Immerhin: Der Bäcker nebenan hat Apfelkuchen im Sonderangebot! Was für ein Genuss! Aber allmählich begreife ich, warum die meisten von Brühl aus doch lieber die 28 Kilometer bis Euskirchen auf sich nehmen. Und frage mich, ob ich das nicht vielleicht auch besser gemacht hätte.
    Den Rest des Tages nutze ich dazu, mir am anderen bewohnten Ende der Stadt in der Post eine ZEIT zu kaufen, das Blatt im Schlenderschritt ans gegenüberliegende Ende des Örtchens zu tragen und es dort in Weilerswists schönstem und allereinzigstem Eiscafé zu lesen. Bei bestem Frühlingswetter und während
direkt neben mir Lastwagen mit Vollgas vorbeibrettern, erdulde ich einen ungeheuer kitschigen Artikel über Ostern, der sich im Wesentlichen auf einen bemerkenswerten Punkt bringen lässt: Es sei gar nicht soo schwer, an Gott zu glauben! Man müsse einfach nur das annehmen, was in der Bibel steht. Nach Meinung der Autorin würden Christen deshalb auch zu besonders offenen Menschen. Klar: Mir fallen auf Anhieb ein paar christliche Dogmen ein, die auf Anhieb nicht wesentlich nachvollziehbarer sind als der Gedanke, dass es fliegende Teppiche gibt. Mit denen hat man vielleicht wirklich weniger Probleme, wenn in einem etwa beim Thema Jungfrauengeburt kein Plausibilitäts-Alarm anspringt.
    Ich denke mir meinen Teil, auch was den Ruf der ZEIT als führendes deutsches Intelligenzblatt betrifft. Im China-Imbiss »Weilerswirst« kaufe ich mir anschließend Nudeln und schleppe sie ins Hotel, seziere die Blase unter meinem Fuß der Länge nach mit meinem Taschenmesser, sprühe literweise Desinfektionslösung aus Brühl hinein, packe daumendick Zinksalbe drauf, wickle das Ganze in Toilettenpapier, sehe noch etwas fern und schlafe ein. Und frage mich immer noch, was ich in diesem seltsamen Ort eigentlich soll.

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Donnerstag, 16. April 2009 – Weilerswist bis Euskirchen
    Aaaaaaah! Jetzt weiß ich, warum mich der Weg in dieses Kaff verschlagen hat … Aber von vorne. Als ich erwache, begrüßen Bauarbeiter auf der Kreuzung vor meinem Fenster die aufgehende Sonne, indem sie die Straße bis zum Erdmittelpunkt aufreißen. Immerhin ist der Papierverband immer noch an meinem Fuß; ich wickle das Geschenk aus – und freue mich wie ein deutscher Oscargewinner: Die Entzündung ist zurückgegangen – ich kann aufstehen und sogar herumlaufen, ohne jeden Käpt’n-Ahab-Walk-Wettbewerb zu gewinnen, und stürme ein paar Minuten später die Treppe herunter wie ein silberner Ford Capri voller nagelneuer Ersatzteile auf die Autobahn.
    Unten werde ich schon erwartet: Noch während ich mich auf einen der Baststühle in der Nähe des Fensters setze, springt mein Gastgeber auf, verlässt das Haus und taucht nach einer Weile mit einer Brötchentüte wieder auf. Aber anstatt sich anschließend wie die meisten Zimmerwirte hinter seine Theke zu empfehlen, fängt er an, von sich zu erzählen. Er wird dieses Hotel nicht mehr lange betreiben, erfahre ich: kein Bock mehr, alles verkauft, nur weg hier! Jetzt muss ein neues Haus her. Dummerweise hat er nicht viel Kohle zur Hand, also kommen dafür nur kleinere Orte in der Eifel in Frage. »Die reinsten Bruchbuden bekommt man da angeboten«, klagt er, »und wenn die Häuser O. K. sind, sind da seltsame Nachbarn …« Er schüttelt den Kopf wie ein trauriger, nasser Dackel und erzählt von Orten, bei denen er gleich wieder umdreht, weil ihm die Leute komisch vorkommen.
»Kenn’ ich!«, antworte ich. »Ich bin auch schon durch Dörfer gewandert, in denen einen die Leute ansehen, als ob man dort eine Müllverbrennungsanlage bauen möchte. Und ein paar Kilometer weiter ist dann einer, in dem einen sogar die Autofahrer anlächeln.« Er fällt aus allen Wolken. »Das haben Sie auch so erlebt?« Ich spreche ihn auf den E-Bass in der Ecke an. »Ja, damit ärgere ich die Bank nebenan«, sagt mein Landlord und schaut dabei, als hätte er mir eben anvertraut, dass Außerirdische tief unter Weilerswist ein Labor betreiben. Cool! Musik ist genau mein Thema! Ich habe mir mit der Zeit sogar ein ganz respektables kleines Tonstudio aufgebaut, komme aber in letzter Zeit kaum noch dazu, es zu nutzen. Genau genommen seit Jahren.

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