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Santiago liegt gleich um die Ecke

Santiago liegt gleich um die Ecke

Titel: Santiago liegt gleich um die Ecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Albus
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Genau dafür den Kopf wieder freier zu kriegen, war einer der Zwecke dieser Reise! Und jetzt treffe ich jemanden, mit dem ich ein bisschen über Musik reden kann!
    Ich gehe kurz meinen Plan für heute durch: 14 Kilometer bis Euskirchen, immer an der Erft entlang – easy ! »Im Radio läuft doch nur noch Scheiße. Das kann sich doch keiner mehr anhören«, sagt mein Kollege. »Früher war das anders. Als Can ihr Studio nebenan noch hatten …« Jetzt bin ich baff. Plötzlich dämmert mir etwas, aber ich weiß noch nicht, was da für eine Sonne aufgehen will. Can ? Ich hake nach. »Ja klar. Die hatten ihr Studio zwei Häuser weiter. Der Czukay wohnt ja nach wie vor da drüben. Wusstense das nicht? Ach, kommense einfach mal mit.« Er führt mich durch die Hintertür auf einen Hof hinter dem Haus und deutet auf ein Gebäude hinter einer Mauer. Der legendäre Can-Bunker! »Bei mir haben dann immer die Musiker gepennt, wenn die eine größere Produktion hatten … Element of Crime zum Beispiel, die waren echt nett … Und hier unten haben die ihre Partys gefeiert!« Sein Blick richtet sich eine Weile
nach innen, als ginge er nochmal die Groupies durch, die dabei auf seinem Schoß gelandet waren.

    Bang! Da hab’ ich’s! Can war in den 60ern im Ausland ungefähr so bekannt wie Dieter Bohlen heute … Holger Czukay , Irmin Schmid , Jacki Liebezeit sollen heute noch von den Platten leben, die sie damals aufgenommen haben! Ich fasse es nicht! Ich habe im Auge eines Hurrikans geschlafen, der vor 40 Jahren über die europäische Musikszene weggezogen ist! Musik! Hier! Ich bin völlig elektrisch! Ich fliege im Saal umher wie eine entfesselte Hookline. Ich fasse den Bass an, setze mich auf das seltsame Sofa und höre Musik, die keiner mehr spielt … Was für Namen aus dem Can -Umkreis einem schon auf Anhieb einfallen … Yoko Ono , Alan Bangs … Bei der Wiedereröffnung des Can -Studios in Gronau hat kein geringerer als Daniel Miller gesprochen – heute Chef der Firma, die Depeche Mode unter ihren Fittichen hat! Ich habe an einem unsichtbaren Faden gezogen – und jetzt schaukelt das gesamte Netzwerk der Popmusik-Geschichte vor meinen Augen … Das muss ich erstmal sortieren. Etwas benommen schwebe ich in die zweite Etage, meinen Rucksack holen. In meinem Zimmer frage ich mich kurz, wer in dem Bett wohl schon alles geschlafen hat; ich kenne Leute, die würden tausendmal lieber hierhin pilgern als nach Santiago! Und ich hatte keine Ahnung!

    Die folgenden Kilometer knallen die Gedanken nur so durch mein Gehirn. Hätte ich vorher geahnt, was für ein Schatz da auf mich wartet, hätte ich für Weilerswist sogar einen fetten Umweg in Kauf genommen. Wie mit einem neuen Motor versehen stapfe ich an der Erft entlang. Am liebsten wäre ich jetzt jedoch woanders: in meinem Studio! Ich weiß wieder, wo ich hingehöre! Warum werfe ich diesen blöden Rucksack nicht in den Fluss, renne zum nächsten Bahnhof und setze mich in einen Zug? Plötzlich begreift ein anderer Teil von mir, wie der Jakobsweg funktioniert. Denn dass dieses Studio, dieses Hotel ganz plötzlich auf magische Weise, quasi Coelho-mäßig aus dem Nebel aufgestiegen wären, um mir ein Aha-Erlebnis zu bescheren und meinem Leben seine eigentliche Richtung zu zeigen, kann ja nun ganz bestimmt niemand behaupten.
    Die Sache läuft anders! Der Weg ist die ganze Zeit einfach nur da . Aber hier habe ich nun mal Zeit und Muße, mir die Dinge, die mir unterwegs begegnen, unbefangen anzusehen. Und sie mit meinem Leben in Verbindung zu bringen. Unbewusst klopfe ich alles, was mir begegnet, darauf ab, was es mir für mein Leben zu sagen hat. Stelle Zusammenhänge her, bewerte die Dinge – und unter dem Strich kommt am Ende eine Art »Sinn« heraus, eine »Lektion«. Der wache Geist des Pilgers pickt sich aus dem Strom der Ereignisse einfach nur diejenigen heraus, die ihm gerade wichtig erscheinen. So wie man auf der Straße plötzlich nur noch BMWs sieht, wenn man sich überlegt, ob man einen kaufen möchte. Wer weiß, was ich bisher alles übersehen habe, weil ich noch nicht bereit dafür war … Und noch etwas wird mir klar: Aus ganz genau demselben Grund ist der Weg für jeden anders. Die meisten hätten das Ex-Studio strunzlangweilig gefunden. Vielleicht wäre für jemand anderes die Stelle mit dem

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