Santiago liegt gleich um die Ecke
Vorhang. Das Bett in meiner Klause ist O. K., dafür geht die Heizung nicht an. Blöderweise fällt mir das erst auf, nachdem ich meinen halben Rucksack und die Klamotten, die ich den Tag über getragen hatte, durch das Waschbecken geschickt habe â in kaltem Wasser wohlgemerkt, denn der Boiler in meinem Zimmer tut es auch nicht.
Auf dem Weg nach unten begegne ich der Zimmerwirtin, die gerade einen Stapel Wäsche in ihre Wohnung trägt. Ich frage nach einem Trockenraum für meine Klamotten. »So etwas haben wir nicht.« »Könnten Sie dann vielleicht die Heizung in meinem Zimmer einschalten, damit ich die Sachen da drauf legen kann?« »Also, da haben wir leider überhaupt keinen Einfluss drauf. Die wird von der AuÃentemperatur gesteuert.« »Tja, also ⦠dann brauche ich wohl ziemliches Glück, um meine Sachen noch trocken zu kriegen.« »Ja«, sagt der Pfirsichkern. Nachdem er ein paar Stufen weitergegangen ist, dreht sie sich noch einmal um. »Ich drücke Ihnen aber die Daumen.«
Ich mache mich auf den Weg zur Post, um den Schlüssel aus Weilerswist loszuwerden. Ich hatte ihn versehentlich
eingesteckt â das war das erste Mal, dass ich nichts liegengelassen, sondern zuviel mitgenommen habe. Ich muss vier Umschläge kaufen, um einen verschicken zu können. Die restlichen drei versuche ich zu verschenken, aber niemand will sie haben. In einer Apotheke bekomme ich Mineralstoff-Tabletten, die ich mir in meinem Trinkwasser auflösen soll. Die Verkäuferin ist auch schon ein paar Etappen des Deutschen Jakobswegs gewandert und empfiehlt mir eine Herberge, die ich auf keinen Fall verpassen soll. Ich vergesse leider den Ort, behalte aber, dass es sich um eine Burg handeln soll. Abends gehe ich ins Kino und gerate versehentlich in einen unglaublich brutalen Film. Mir wird regelrecht schlecht davon, obwohl ich so ein Machwerk vor ein paar Wochen noch locker weggesteckt hätte. Als ich wieder rauskomme, regnet es immer noch nicht.
Zurück in meiner Unterkunft darf ich dagegen feststellen, dass das Licht im Bad auch nicht funktioniert. Ich muss die Tür zum Flur offen stehen lassen, damit ich irgendwas sehe und hoffe, dass die Wirtin in der Zwischenzeit nicht noch mehr Zimmer vermietet hat.
Ãber das Verfertigen wichtiger Gedanken unter Wasser
Freitag, 17. April 2009 â Euskirchen bis Bad Münstereifel
Es gieÃt wie aus Eimern. Es meimelt, es schüttet, es regnet Katzen und junge Hunde, Frösche, Mäuse. Ich stehe vor dem Fenster und schiebe den Vorhang vom Typ »acht Quadratmeter Klöppel-Platzdeckchen« zur Seite; vor meiner Kammer hat sich ein respektabler kleiner See gebildet, die Kirche gegenüber sieht aus, als hätte irgendjemand sie über Nacht poliert. Das Schlimmste aber: Obwohl die Temperatur drauÃen seit gestern um mindestens 20 Grad gefallen ist, hat die Heizung mit bergischer Standhaftigkeit ihren Dienst verweigert. Logisch, dass meine Sachen klitschnass sind; die gröÃeren Stücke hatte ich abends angesichts des leichenkalten Radiators extra auf ein paar Balkonstühlen ausgebreitet ⦠Auf dem Weg zu meinem Frühstück bemerke ich allerdings, dass es schlimmer hätte kommen können: Ich passiere eine Art Partysaal, in den es reintropft wie in einen U-Boot-Maschinenraum kurz vor dem Hüllenbruch. Im Schankraum wirft meine Wirtin mir mit einem Gesicht, das aussieht, als hätte sie es eben in frischen Beton getaucht, etwas Wurst, Käse und eingeschweiÃtes Zeug auf den Teller. Einziger Lichtblick des Morgens ist ihre Tochter: Sie schenkt mir Kaffee nach, fragt mich ein wenig aus und schenkt mir ein ganzes Album voller guter Momente.
Wieder in meiner Kammer appliziere ich mich in ein klammes T-Shirt hinein â das ist besser, als es im Rucksack vor sich hin gären zu lassen, denke ich.
Alles Durchnässte kann ich natürlich nicht anziehen. Hm ⦠ob ich da wirklich raus soll? Aber was soll ich in einem Zimmer ohne Heizung ⦠AuÃerdem habe ich das ganze wasserdichte Zeug so wenigstens nicht umsonst mitgeschleppt! Ha! Meine Kollegen vor 500 Jahren hatten schlieÃlich auch keine Goretex-Jacke, keine Membran-Hose und keine Schuhe, mit denen man zur Not trockenen FuÃes den Rhein durchqueren könnte! Bevor ich losziehe, rufe ich allerdings bei meinem nächsten Ziel an und frage, ob die Pilgerherberge dort geheizt ist. »Bisher hat sich noch keiner
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