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Santiago liegt gleich um die Ecke

Santiago liegt gleich um die Ecke

Titel: Santiago liegt gleich um die Ecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Albus
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Ein alter Herr in der letzten Reihe wirft mir einen Blick zu, erhebt sich, stützt sich mühsam auf einen Stock, schlurft langsam auf mich zu und reicht mir die Hand. Ich bin völlig verdutzt. Kurz darauf verlasse ich die Kirche. Das ist mir dann doch zu intim! Muss ja nicht an das glauben, was sie anbeten. Aber ich kann diese Leute achten! Das ist ja wohl das Mindeste! Ich beschließe jedenfalls, nicht mit den Händen in den Hosentaschen daneben zu stehen, wenn sie beim Abendmahl ihrem Gott begegnen, und schiebe die Tür hinter mir so leise zu, als würde ich ein schlafendes Kind zudecken. Draußen horche ich ein wenig ins Atrium hinein und setze mich auf eine Bank unmittelbar neben dem Grabstein. Und warte. Wer mag diese Blandine gewesen sein, dass sich hier am hellichten Tag Leute zu einem Gottesdienst einfinden? Mein Herz schlägt bis zum Haaransatz, als bekomme ich gleich eine Klassenarbeit zurück. Ich fühle mich wie ein Pfeil, der gleich abgeschossen wird. Und habe seltsamerweise nicht die geringste Furcht, dass ich nach dem Schuss irgendwo in der Wand statt mitten in der Zielscheibe stecken könnte. Ganz plötzlich habe ich das Gefühl, dass ich hier etwas erfahren werde, auf das ich drei Jahrzehnte gewartet habe. Und werde ganz ruhig , wie ein Stein in tiefem Wasser. Und neugierig auf das, was kommen wird. Was lohnt, zurückgelassen zu werden? Was soll ich mit meinem Leben anfangen? Ob ich hier die Antwort kriege? Katholische Heilige zeichnen sich schließlich oft durch irgendetwas Besonderes aus – wie Marvel-Superhelden. Es gibt welche, die haben Schotten bekehrt und ein Kloster gegründet, andere haben mit Tieren geredet. Irgendwie ist das mit den Heiligen gar keine so üble Idee, wird mir plötzlich klar – weil ich lieber an Menschen glaube als an irgendetwas anderes! Ich denke an die Küchenfrau in Altenberg, die in alle Schränke gekrochen ist, um mich mit etwas Hühnerbrühe aufzupäppeln. An Heike und Dieter mit ihrem Apfelsaft und ihrem Kuchen. An Monika und Maria, die mir geholfen haben, meine Bilanz zu ziehen. Alle waren genau rechtzeitig da. Wer also war Blandine? Was, was nur hat sie gemacht, dass die Leute ihr all diese Dankes-Täfelchen widmen? Was wird sie mir mitgeben? Mitten in diesen Gedanken fällt mir plötzlich ein Schaukasten auf, der in einer Ecke des Atriums hängt. Ich hatte ihn bislang nicht wahrgenommen, dabei war er die ganze Zeit da. Ich bleibe noch eine Weile sitzen, aber ich weiß, dass da meine Antwort drin ist. Dann atme ich tief durch und gehe drauf zu.
    Ich muss ja nicht an das glauben, was diese Leute anbeten, aber ich kann sie achten.

    Ich sehe ein etwas unscharfes Schwarz-Weiß-Foto einer Frau Mitte 30 in Nonnentracht, die mich mit verschränkten Armen neugierig, aber auch ein wenig fordernd ansieht. Und einen langen Text. Jetzt rutscht mir wirklich das Herz in die Hose. Jakobsweg – dein Einsatz! Letzte Gelegenheit! Enttäusche mich nicht. Bitte.
    Â»Schwester Blandine wurde am 10. Juli 1883 in Döppenweiler in der Diözese Trier geboren. Getauft wurde sie auf den Namen Maria Magdalena. Was Maria Magdalena aufgetragen war, erfüllte sie ganz: in der Schulzeit, im Studium, in der Berufsausübung als Volksschullehrerin (1902 – 1908). Mit 25 Jahren trat sie 1908 in den Ursulinenorden in Ahrweiler, Kloster Calvarienberg, ein. Maria Magdalena, im Kloster Schwester Blandine genannt, glaubte, in der apostolisch tätigen Ordensgemeinschaft das zu finden, was sie sich immer ersehnt hat: sich ungeteilt Gott hinzugeben und Kindern und jungen Menschen bei ihrer gottgewollten Entfaltung zu helfen und sie zu einem
christlichen Leben anzuleiten. Mit Eifer und kluger Besonnenheit, in Demut, mit geduldiger, doch strenger Güte widmete Schwester Blandine sich dieser Sendung. Sie selbst liebte es, unbekannt und unbeachtet zu sein, und war doch allen ein Vorbild. Nicht lange konnte sie im Orden tätig sein. Im Herbst 1916 zeigte sich bei ihr eine unheilbare Tuberkulose. Sie durchlitt die Krankheit in vollkommener Hingabe an den Willen Gottes, bis sie am 18. Mai 1918 in Trier verstarb.
    Schon bald nach ihrem Tod wurde offenkundig, wie sehr Schwester Blandine geschätzt und geliebt wurde. Ihr Zeugnis lebte weiter. Mehr und mehr wurde sie angerufen als Fürsprecherin bei Gott. Das führte dazu, dass 1954 durch den Bischof von Trier das Verfahren zur Seligsprechung eingeleitet wurde. Im

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