Santiago, Santiago
Darüber, eng gedrängt, das Städtchen, verloren am Hang des Tales, das in ein anderes, nicht weniger einsames Waldtal mündet.
Conques war einst die wichtigste Station des Pilgerweges zwischen Le Puy und den Pyrenäen. Heute ist es ein winziges Städtchen mit Mauern und Toren, das die Jahrhunderte fast unverändert überlebt hat. Durch die Wiederentdeckung der Kirche im letzten Jahrhundert hat es einige neue Lebensimpulse bekommen. Sie sind jedoch großenteils touristischer Art, und an der Hauptstraße beherrschen die Souvenirläden das Bild. Aber darum finden wir hier auch eine gute Unterkunft.
Conques: Das Münster im Waldtal
Wir sind in Frankreich nun 228 Kilometer marschiert und finden, daß wir einen Ruhetag verdient haben. Die beiden Sehenswürdigkeiten des Ortes sind die Klosterkirche und der Kirchenschatz.
Das Kloster hat eine interessante Geschichte. Wie es an diesem verlorenen Punkte Frankreichs, am steilen Abhang einer Waldschlucht, entstehen und seinen europäischen Ruf erwerben konnte, grenzt an ein Wunder. Zwar wissen wir, daß andere Benediktinerabteien in finsteren Waldgebieten errichtet worden sind, aber dies gerade an einem Abhang, der den Bau von riesigen Stützmauern erforderte, übertrifft doch die vergleichbaren Fälle.
Dann die Geschichte der Heiligen, der die Kirche geweiht ist. Es ist die Geschichte eines vierzehnjährigen Mädchens, das um das Jahr 300 in Agen an der Garonne den Märtyrertod erlitten haben soll. Lange Zeit wurden seine Gebeine in Agen als Reliquie verehrt, bis sie im 9. Jahrhundert von einem Mönch aus Conques den Brüdern in Agen gestohlen und glücklich hierher gebracht wurden. Wir Heutigen finden, daß diese Tat einige moralische Probleme aufwirft. Aber wer möchte beurteilen, wie solches Tun in der Perspektive des 9. Jahrhunderts aussah?
Aimeric Picaud, der Pilger aus dem Poitou, der in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts hier vorbeigekommen ist, hat schon eine vereinfachte Fassung des Geschehens. Er schreibt, in nicht ganz klassischem Latein:
Fides »in valle que vulgo dicitur Conquas honorifice a xpistianis sepelitur; super quod basilica obtima a xpistianis fabricatur,... ante cujus fores obtimus fons ultra quam dici fas est mirabilis habetur.«
Fides »wurde von den Christen im Tal, das man Conques nennt, in Ehren begraben. Darüber errichteten sie ein schönes Münster,... vor dessen Toren eine Quelle von unsagbarer Wunderkraft sprudelt.«
Das Juwel des Kirchenschatzes von Conques ist die Figur dieser Fides. Sie ist um das Jahr 1000 entstanden und stellt die Heilige, auf einem Thronsessel sitzend, dar. Es ist eine mit Goldblech überzogene und ganz mit Edelsteinen und Gemmen übersäte Holzfigur, in dem kleinen Museum effektvoll präsentiert und beleuchtet. Ihr Glanz und die starre Hoheit ihrer Haltung und ihres Blickes flößen auch dem heutigen Betrachter noch Ehrfurcht ein. Wenn sie im Mittelalter aus dem Kloster herausgeführt wurde, sollen die Mönche ein Pferd mit einem besonders weichen Gang zum Tragen der Statue gewählt und die Prozession mit der Musik von Zimbeln und Elfenbeinhörnern begleitet haben.
Daß die Figur dieser Kirche ein Jahrtausend lang erhalten geblieben ist, obwohl die Benediktinerabtei schon im Jahre 1424 aufgehoben und das riesige Gotteshaus zur einfachen Dorfkirche degradiert wurde, erscheint ebenfalls wie ein Wunder. Die Bewohner des Städtchens haben der Figur offensichtlich ihre Anhänglichkeit bewahrt. Jedenfalls haben sie sie glücklich durch die Fährnisse der Jahrhunderte und insbesondere der Französischen Revolution gerettet. Das war in diesem einsamen Tal allerdings auch einfacher als in Paris oder in Cluny.
Dann die Rettung der Kirche selber. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts war sie in einem desolaten Zustand, die Türme halb abgebrochen, das Dach durchlöchert. Gras und Bäume wuchsen aus den Mauerfugen. Aber sie stand noch, und zur gleichen Zeit, da man die Wälle und Türme der Stadt Carcassonne mit den Augen der Romantik zu betrachten begann, entdeckte man auch den grandiosen Kirchenbau im Tal von Conques wieder: reine Romanik des 11. und 12. Jahrhunderts, für Frankreich ein »Monument national«. Die Arbeiten zur Rettung der Kirche, die sich nunmehr über anderthalb Jahrhunderte erstrecken, stellen selbst ein Stück europäischer Architektur- und Geistesgeschichte dar.
Mich haben zwei Dinge an dieser Kirche fasziniert: einmal natürlich die Reliefs im Bogenfeld des Westportals — davor sammeln sich
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