Santiago, Santiago
allem schönen Punkten nachgeht. Unsere Bedürfnisse liegen anders, wir möchten vorwärts kommen, haben doch noch immer weit über 1000 Kilometer vor uns. Ich meine auch, auf der Karte einen attraktiven Weg ausgemacht zu haben, der wenig von der Luftlinie nach Figeac abweicht. Verena ist etwas zögerlicher: Werden wir den Weg finden, ist er noch begehbar?
Es fängt alles gut an. Ein sympathisches Natursträßchen führt von der Talstraße weg, aufwärts durch ein waldiges Bachtal. Nach einer halben Stunde sind wir bei zwei alten Häusern. Der Weg führt an ihnen vorbei, dem Bach nach aufwärts. Aber ein verrostender Viehtransporter steht mitten im Weg, dazu Alteisen. Dahinter noch die Andeutung einer Wegspur, dann Brombeerranken. Wir gehen zurück. Über eine Schafweide am Hang können wir besser aufsteigen. Es folgt lichter und dann dichterer Wald, das südliche Maquis. Dann kommen wir sogar auf einen ansteigenden Weg. Aber er geht in die Waagerechte über, und zwar in Richtung Osten. Wir müssen nach Westen. Doch wir haben keine Wahl, müssen ihm ein Stück weit folgen. Dann zweigt eine Spur aufwärts in eine Wiese ab. Vergebliche Hoffnung. Es ist, wie wenn ihr Besitzer um die Wanderer gewußt hätte, die die Hochebene zu gewinnen suchen: der Weg ist mit einem halben Dutzend Stacheldrähten so gründlich versperrt, daß an kein Durchkommen zu denken ist. Ein besitzeswütiger Franzose muß hier an der Arbeit gewesen sein. Also weiter geradeaus, nach Osten. Verena ist nobel, sie sagt nichts... Schließlich sind wir doch oben, am Rande des Plateaus und aus dem Nebel heraus. Es war Zeit. Mein Optimismus war am Zerrinnen. Wir haben wohl eine Stunde verloren.
Hier oben scheint indessen die Sonne über dem morgendlichen Nebelmeer. Sie hilft, die alte Zuversicht zurückzugewinnen. Es geht nun durch ein sanft gewelltes Gelände mit saftigen Weiden und grünen Hecken abwärts, dann über dem Tal des Lot geradeaus. Der selbstgewählte Weg bewährt sich schließlich doch. Er senkt sich nun allmählich ins Tal des Célé, des Nebenflusses des Lot, an dem Figeac liegt. Die Häuser haben ihren Charakter geändert. Jedes Haus, das etwas auf sich hält, hat ein kleines Türmchen und spielt ein wenig Schlößchen, und auf den Feldern stehen die Gariottes, meist runde, gemauerte Häuschen für die Gerätschaften der Bauern. Die Dächer der interessantesten Exemplare sind mit einer uralten Technik ohne Balken hochgemauert.
Am frühen Nachmittag sind wir in Figeac. Es ist eine attraktive Stadt. Fast alle Häuser der Altstadt haben ihre gotische Gestalt erhalten: überall die Spitzbogen der großen Eingangstore, viele Fachwerkbauten mit auskragendem Obergeschoß, das Dachgeschoß in offener Balkenkonstruktion, »le solheilo«. In den krummen Gassen geben noch die Fußgänger den Ton an.
Der Stolz des modernen Figeac ist sein Sohn Jean-François Champollion, der Entzifferer der Hieroglyphen. Er wurde hier als Sohn eines Apothekers geboren. Darum heißt unser Hotel auch »Hostellerie Champollion«. Es ist ein angenehmes Haus, die jungen Wirtsleute haben es eben erst übernommen. Wir beschließen, hier noch einmal einen Ruhetag einzuschalten. Es ist der 1. August.
Biedere Wirtin, zweifelnder Pilger
12. Tag: Von Figeac nach Brengues
Die Wirtin macht uns um halb sechs Uhr, vor dem Abmarsch, den »grand café au lait«. Wir winden ihr dafür ein Kränzchen, verabschieden uns herzlich und steigen südlich der Stadt durch den nebligen Eichenwald auf die Höhe des Plateaus.
Diesmal finden wir oben die Sonne nicht. Eine weitere Wolkenschicht bedeckt sie. Fürs Wandern ist uns das aber durchaus recht.
Wir haben am Vortag die Karte intensiv studiert und sind zum Schluß gekommen, daß der GR 65 zwischen Figeac und Cahors einen riesigen Bogen nach Süden beschreibt, der uns etwa einen Tagesmarsch kosten würde. Zugleich verpassen wir dabei Saint-Cirq-Lapopie, von dem uns die beiden Pilgerfrauen erzählt haben. Es soll eines der besterhaltenen mittelalterlichen Städtchen Frankreichs sein. So gedenken wir, nach etwa 10 Kilometern den GR 65 zu verlassen und auf selbstgewählten Wegen über Brengues nach Saint-Cirq zu wandern. Von Stefane und Béatrice haben wir uns verabschieden müssen, denn sie wollen dem bezeichneten Weg folgen. Wir hoffen sie wiederzusehen.
Unsere Orientierung in der Landschaft ist verschieden von derjenigen der mittelalterlichen Pilger. Die Karte sagt uns in jedem Moment genau, wo wir uns befinden, und wir verstehen
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