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Santiago, Santiago

Santiago, Santiago

Titel: Santiago, Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Aebli
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Eichen, dazwischen Wacholder und Geißblatt mit reifen Beeren. Inzwischen ist die Sonne durchgebrochen. Wir fühlen uns ausgeruht und bei Kräften. Das Wandern macht Freude, der Körper zieht mit, und der Geist ist munter. Es geht durch eine gewellte Landschaft, unterbrochen von kleinen Wäldchen, auf einen weiteren breiten Höhenrücken zu. Hier wird intensive Landwirtschaft getrieben. Vor und neben den Bauernhäusern stehen landwirtschaftliche Maschinen aller Art, und die modernen Häuser selber kommen uns funktionell, aber nicht sehr einladend vor.
Es ist jetzt warm geworden, und die weiße, kalkige Straße beginnt mich zu blenden. Sie führt ohne viel Abwechslung geradeaus. Wir marschieren rasch, aber bei reduziertem Bewußtsein, wie Langstreckenläufer. In einem gewissen Moment sagt Verena: »Hast du wieder einmal ein Wegzeichen gesehen?« Nein, mir wird klar, daß ich schon seit längerer Zeit nicht mehr auf die Wegmarkierungen geachtet habe. Es ging ja immer geradeaus. Im Weitergehen halten wir nun Ausschau nach den rot-weißen Strichen, die unseren Wanderweg kennzeichnen. Nichts mehr von einem Wegzeichen. Wir studieren die Karte, fragen uns, wo wir eigentlich sind. Aber wir sind unsicher, denn im Halbschlaf unseres mechanischen Gehens ist uns auch das Zeitgefühl abhanden gekommen.
Zum Glück taucht in einer Staubwolke der Kleinwagen eines Briefträgers auf, und es gelingt mir, ihn mit einem Handzeichen zum Anhalten zu bringen. Nach Lascabanes? Nein, hier durch nicht. Wir hätten vor etwa einem Kilometer nach rechts abschwenken müssen. Wir müssen den Kilometer zurückgehen. Das wird die heutige Etappe auf 3o km erhöhen. Der Tag verspricht sehr heiß zu werden.
Die Abzweigung, die wir übersehen haben, führt wenigstens unter Laubbäumen ins Tal hinunter. Lascabanes ist ein freundliches Straßendorf mit einer Kirche, in der man sich wie in der Wohnstube einer einfachen, ordentlichen Familie fühlt. Ich kann mir die Frau vorstellen, die sie in Ordnung hält. Ein schmales Sträßchen zieht sich durch blühende Wiesen aus dem Dorf hinaus auf einen lichten Wald zu. Wir beginnen mit dem Aufstieg. Es ist jetzt Zeit für die Mittagspause. Wir lagern auf trockenem Moos, und ich schlafe sogar für eine kurze Zeit ein.
Wie wir den Wald hinter uns haben, sind wir auf einem dritten Höhenrücken. Wir wandern jetzt in der prallen Sonne des Nachmittags. Es sind noch knapp zwei Stunden bis Montcuq. Das Sträßchen ist wieder weiß vom Kalkkies. Von den Feldern tönt der Lärm von Traktoren. Bauern, die wie wir zu Fuß bei der Arbeit wären, sehen wir nicht. Die bäuerliche Arbeit wird rasch, rationell, aber einsam verrichtet: da ein Bauer, der die Egge an seinen Traktor montiert hat und nun die Länge eines riesigen Ackers in einer Staubwolke abfährt, hin und zurück. Dort drüben eine Bauersfrau, die eben aus einem Feld hinausfährt, um zu einem anderen hinüberzuwechseln, das sie heute nachmittag auch noch bearbeiten wird. Dazwischen Einsamkeit, vielleicht sogar Leere.
Wir spüren die Hitze und die Distanz des Tages. Die Lust, die wir am Morgen beim Wandern noch empfunden haben, ist nicht mehr groß. Zum Glück taucht jetzt am fernen Horizont ein viereckiges Gebäude auf. Es wächst allmählich aus dem Boden heraus und erweist sich als der mächtige Bergfried des ehemaligen Schlosses von Montcuq. Das gibt uns Hoffnung. Wir nehmen zusammen, was uns an Kräften geblieben ist. Der Weg taucht zu einigen Laubbäumen hinunter: der erste Schatten seit einer guten Stunde. Dann kommen die Häuser des Städtchens. In den Gärten wachsen Malven, Ringelblumen und Rosen. Alte Frauen sitzen im Schatten von Platanen und stricken. Am Hauptplatz gibt es einige Läden und zwei Cafés mit fröhlichen Schirmen über den Tischen vor dem Haus.
Wir stellen die Rucksäcke erleichtert ab und bestellen einen Liter Limonade. Verena ist erschöpft. Mir geht es ein wenig besser, aber ich spüre die 30 heißen Kilometer auch in den Beinen. Das einzige Hotel hier im Städtchen oben ist geschlossen worden, aber am Fuße des Hügels soll es eines geben, sogar ein gutes. Also steigen wir noch zu ihm ab und werden dort freundlich empfangen, obwohl wir, verschwitzt und abgekämpft, kaum dem Bild der »bonne clientèle« entsprechen.
     

Vergangene Pracht und neue Morgenröte
16. Tag: Von Montcuq nach Durfort-Lacapalette
 
In Montcuq sind wir noch zwei Tageswanderungen von Moissac entfernt. Wir bewegen uns jetzt endgültig aus den Causses hinaus, auf

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