Santiago, Santiago
Hinsehen erkennen wir allerdings, daß der edle Franzose wohl schon lange im örtlichen Friedhof ruht und inzwischen eine alternative Töpferei in sein Schlößlein eingezogen ist. Sie ist uns nicht weniger sympathisch.
Nach vielem weiteren Auf und Ab halten wir nach einer Unterkunft Ausschau. Wir wollen heute nicht bis zur Erschöpfung marschieren, es ist schließlich mein Geburtstag. Von einer kleinen Anhöhe erspähen wir einen Gasthof besonderer Art, auch er einstmals ein nobles Landhaus. Der französische Garten ist romantisch verwildert, dahinter ein Bauernhof. Sonst Hügel, Weiden und Wälder.
Wir sehen uns das Haus an. Der junge Wirt hat einen Akzent, den ich nicht zu situieren vermag, aber er gefällt uns, und wir beschließen zu bleiben. Schon die Namen sind es wert, daß man hier Halt macht: Der Ort heißt »Durfort-Lacapalette« und das Hotel »La nouvelle Aube«, »Die neue Morgenröte«.
Unser Zimmer hat die Maße des Salons eines Landedelmannes. Auch das Cheminée erinnert an die vergangene Pracht. Die hohen Fenster schließen mit einem archaischen Mechanismus, der im wesentlichen aus einer drehbaren Latte ohne jegliche Messingbeschläge besteht. Der Wandschmuck und die Tapeten verbreiten einen Hauch von Jahrhundertwende, und der Speisesaal ist ein kleines Museum. Die Küche des Hauses ist vorzüglich, bis hin zum Liqueur »Fraises des Bois«, Walderdbeeren. Wir schlafen wie die Götter in der »Neuen Morgenröte«.
Übrigens: die Wirtsleute sind Flamen, die schon seit Jahrzehnten hier im Süden Frankreichs wohnen, unter sich aber immer noch ihre germanische Sprache sprechen.
Die Frau von Cortina d’Ampezzo
17. Tag: Von Durfort-Lacapalette nach Moissac
Wir steigen heute auf einem selbstgewählten Pfad über einen langgestreckten Bergrücken ins Tal der Garonne ab. Rechts neben uns verläuft das Tal, durch das die mittelalterlichen Pilger gewandert sind. Einige scheinen aber auch unseren Weg gewählt zu haben. Vor uns erscheint nämlich ein uraltes niedriges Kirchengebäude mit einer angebauten Scheune. Wir versuchen den Eingang zu finden, doch aus einem danebenstehenden, einstöckigen Haus kommen drei Hunde, die uns heftig anbellen.
Eine Frau im Morgenrock, mit einem Butterbrot in der Hand, tritt vor die Haustür und ruft die Hunde zurück. Sie sagt uns, es sei da nichts zu machen, die Kirche sei aufgehoben und abgeschloßen, die andere Kirche, »die mit der Erscheinung« — von der wir allerdings noch nie gehört haben — , befinde sich im Tal unten. Diese Kirche sei auch anders als die anderen, der Altar sei nämlich auf der falschen Seite, das sei wohl ein katharischer Einfluß.
Beim Stichwort der Katharer werden wir aufmerksam. Wir hätten es aus dem Munde dieser Frau nicht erwartet. Ich sage, ich könnte mir noch vorstellen, daß es auch hier Katharer gegeben habe. Das wiederum regt die Frau im Morgenrock an, und sie fragt uns, wo wir herkommen. Wie sie von der deutschen Schweiz hört, ruft sie ins Haus zurück: Komm mal heraus, da sind zwei Deutschschweizer. Ein unscheinbarer, aber freundlicher Mann tritt unter die Tür. Er sei aus Forbach bei Saarbrücken, erklärt er in saarländischem Deutsch, das er allerdings nicht mehr fließend spricht. Er sei zu lange hier unten, entschuldigt er sich. Aber ob wir eine Tasse Kaffee haben wollten? Das nehmen wir gerne an, auch ein wenig aus Neugier.
Wir treten also in das winzige Haus ein und realisieren, daß es nur aus einer ebenerdigen Küche und einem Schlafzimmer besteht. Es fällt hier sichtlich nicht ganz leicht, Ordnung zu halten, denn die Küche ist auch Stube und Arbeitsraum, ja, sogar Maleratelier, wie wir bald erfahren. Denn unsere Gastgeber sind uns Wanderern freundlich gesinnt, wollen uns jetzt sogar zum Frühstück einladen. Wir wehren ab, dafür zeigt uns der Mann nun die Werke seiner Frau, er holt immer neue Ölbilder aus dem Schlafzimmer hervor. Sie hat dafür bei einem Dorfbazar einmal eine Anerkennungsurkunde erhalten. Ich suche meinerseits nach anerkennenden und nicht ganz inhaltsleeren Worten, wie bloß »... interessant...« und »... sehr farbig...«, bin in meinem Bemühen sogar so erfolgreich, daß die Frau uns jetzt ein Bild schenken will.
Das stürzt uns in neue Verlegenheit. Ich sage, in unseren Rucksäcken könnte das Bild Schaden leiden, und das wäre zu schade. Aber die Frau beruhigt mich, die Bilder seien nämlich auf Sperrholz gemalt. Ich winde mich, sage, bei unserer langen Pilgerreise zähle fast jedes Gramm,
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