Santiago, Santiago
Saint-Antoine, einem winzigen, malerischen Städtchen, in dem die Antoniner im Mittelalter ein Pilgerhospital unterhielten. Heute ist es wieder eine Unterkunft für die modernen Pilger. Ich halte das Haus im Bilde fest, aber es wird sich uns im weiteren Verlauf des Tages auch so im Gedächtnis einprägen...
Vorderhand geht es weiter auf und ab durch die Hügel, die das Garonnetal im Süden begrenzen. Es gibt hier wenige Dörfer, fast nur einstöckige Einzelhöfe mit schönen Walmdächern.
Nach etwa zwei Stunden mache ich mich daran, ein besonders malerisches Haus mit überbordendem Blumengarten zu photographieren. Ein gemütlicher Alter tritt heraus und redet uns an. Ich bitte ihn, sich doch vor seinen Garten zu stellen, damit er auch aufs Bild komme. Er findet, da gehöre auch seine Frau drauf. Noch besser, stimme ich zu, er ruft sie heraus, und das Bild entsteht. Das Paar lädt uns zu einem Kaffee ein. Ein Wort gibt das andere. Wir berichten, daß wir bei Madame Dupuy in Miradoux übernachten werden.
- Aber die alte Frau Dupuy in Miradoux nimmt doch keine Gäste mehr auf. — Monsieur Hochets Einwand tönt überzeugend. Man kennt sich in den Dörfern. Ich sage, ich hätte die Übernachtung mit Frau Dupuy am Telephon selbst abgemacht und zeige die Adresse.
- Ja, Frau Dupuy in Saint-Antoine, das ist etwas anderes. Sie führt die dortige Pilgerunterkunft.
Uns fallen die Schuppen von den Augen. Vor zwei Stunden sind wir bei Frau Dupuy vorbeimarschiert. Ich habe ja ihr Haus, das alte Hospital, photographiert.
Was sollen wir tun? Zwei Stunden zurückzumarschieren wäre hart. In Miradoux gibt es kein Hotel. Monsieur Hochet weiß Rat. Er kennt eine Bäuerin auf einem großen Hof bei Miradoux. Sie nimmt gelegentlich gestrandete Pilger, wie wir es sind, auf. Er ruft sie an, und wir dürfen kommen.
Die Bäuerin vom Hof Biran, eine lebhafte und tüchtige Frau, nimmt eben in der Küche mit zwei anderen Frauen zusammen gewaltige Hühner aus. Wir werden anständig, aber mit kühler Sachlichkeit empfangen. Das soziale Gefälle von einer Großbäuerin zu armen Pilgern ist deutlich wahrnehmbar. Wir dürfen in der Garage übernachten. Sie holt aus einem Schrank zwei saubere Wolldecken und hilft uns ein eisernes Feldbett aufstellen. Allmählich erwärmt sich auch die menschliche Beziehung, und schließlich schenkt sie uns sogar von ihrem Eingemachten.
Die Garage ist eigentlich für die vier Traktoren des Hofes bestimmt. Sie ist mit Welleternit gedeckt, und in den Ecken steht ein ganzes Lager von Agrochemie mit den dazugehörigen Spritzeinrichtungen. Aber ums Haus herum laufen zahllose Hühner und Enten, und etwas weiter vom Haus entfernt wechselt eine große Gänseschar mit hoch erhobenem Kopf von einem Futterplatz zum anderen. Wir sind im Lande der Gänse und der Gänseleberpastete.
Die Predigtkirche
19. Tag: Von Miradoux nach Lectoure
Auf dem eisernen Bett haben wir gut geschlafen, und am Morgen sind wir in aller Frühe weitergezogen, dankbar, daß wir auf dem Hof Biran doch noch einen Unterschlupf gefunden haben. Und wir haben Mildtätigkeit aus einer neuen Perspektive kennengelernt.
Das Städtchen Miradoux schläft noch, wie wir es durchwandern. Die Landschaft selbst hat sich kaum verändert. Neu sind nur die großen Baumgärten mit ihren Pflaumenbäumen. Was den Deutschen die Bühler Zwetschgen, das sind den Franzosen die Pflaumen von Agen. Mariannes Töchter machen den Pflaumenkuchen mindestens so gut wie Germanias und Helvetias Töchter.
Die Bauernhäuser sind hier anders: sie haben jetzt fast alle einen Taubenschlag. Das wird sich bis nach Kastilien hinein nicht mehr ändern: der Pigeonnier gehört zum Bauernhaus oder zum Dorf wie der Stall und die Scheune, und junge Tauben gehören wie das Poulet zur Familienkost. Um diese Häuser herrscht ein munteres Geflatter. Die Taubenschwärme kommen und gehen, eine Kleinigkeit scheucht sie auf. Sie fliegen vom Dach auf den Hof, von diesem auf die Telephondrähte und zurück zum Schlag. Wir fühlen uns in biedermeierliche Zeiten zurückversetzt.
Ganz romantisch ist unsere Befindlichkeit freilich nicht; dazu geht es zu sehr auf und ab, in Gräben hinunter, dann sofort wieder hinauf, nicht tief und nicht hoch, in der Regel wohl nur etwa 80 Meter. Aber die Temperatur steigt, und der Tag wird heiß. Die Kilometer beginnen doppelt zu zählen.
Unser heutiges Ziel ist Lectoure. Wir sehen die alte Stadt schon von weitem, denn sie ist auf einem Höhenrücken angelegt. Die Häuser sind
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