Santiago, Santiago
Quintana, es ist aber Raneros, wie wir schließlich erkennen. Aber vorerst stimmen die Wege nicht, wir kommen an den Dorfrand, und es ist uns unklar, wie es weitergeht. Ein freundlicher Mann, der dabei ist, ein Faß zu reinigen und es auf die Weinernte vorzubereiten, versucht uns zu helfen, schlägt uns einen großen Umweg vor, damit wir auf eine größere Straße kommen. Das alte Lied: je größer die Straße, desto besser.
Wir danken unserem Helfer und gehen einige Schritte in der empfohlenen Richtung, aber dann will uns die Idee nicht mehr gefallen. Wir wählen einen Weg, der nach Südosten verläuft, in der Richtung unseres Zieles. Vorerst sieht es nicht gut aus. Der Weg ist alt und ein wenig ins Gelände eingeschnitten. In der Furche liegen große Steine, und es wachsen hohe Disteln und Brombeerranken darin. Aber auf der einen oder anderen Seite gibt es immer einen kleinen, getretenen Pfad, und wir kommen in der Wildnis gut vorwärts. Es geht ein wenig aufwärts, dann überblicken wir eine weite Ebene, die von zahlreichen untiefen Bachtälern durchzogen ist, und siehe da: einige hundert Meter vor uns zieht sich auch ein kleines Natursträßchen hin.
Erfreut gehen wir darauf zu und folgen ihm nach Süden. Am Rande taucht ein Meilenstein auf, der über die Wegstunden nach León Auskunft gibt. Wir wissen jetzt, wo wir sind und kommen gut vorwärts, durch bescheidene Dörfer, die zu ihrem Sonntagmorgen erwachen. Die Bebauung der Felder ist dürftig, viele liegen brach und sind mit dürrem Gras und Gestrüpp bewachsen. Es ist ein sonniger Tag, die Hitze aber nicht drückend, denn wir befinden uns auf 900 Meter Höhe, und der September geht seinem Ende zu.
Nach einigen Kilometern biegt die Straße immer mehr nach Süden ab. Das paßt uns nicht. Wir streben nach Westen, nach Villar de Mazarife, denn von dort aus führt eine gute Verbindung nach Hospital de Órbigo. Ein ausgezogener Strich auf der Karte verspricht einen Weg nach Villar. Aber wie wir auch ausschauen: kein Weg. Wir sehen die Glockenmauer von Villar genau am Horizont, auch einen hohen Getreidesilo, aber der Weg?
Schließlich versuchen wir es querfeldein. Ein neues Erlebnis. Es ist praktisch Steppe, die wir durchwandern, schütteres Gras, Dornenpflanzen, dann immer mehr Zwergeichen, keine Bäume, bloß niedrige Büsche. Der Boden ist hart, rot und rissig — kein Wunder, daß hier nichts wächst. Oder wüchse doch etwas, wenn man etwas unternähme? Wir haben schon weite Strecken der trockenen Meseta durchwandert, wo Weizen gepflanzt war. Was ist das wohl für ein Dorf, dessen Felder so brach liegen? Wozu dieser Getreidesilo?
Die Zwergeichen bilden kein Hindernis, sie stehen nur verstreut, wir kommen gut durch. Dann wieder Steppe, es sind noch etwa zwei Kilometer zum Dorf. Jetzt entdecke ich eine Traktorspur auf dem Boden und ein Steinmännchen. Wir befinden uns auf dem alten Weg, es benützt ihn nur niemand mehr, und er hebt sich nicht mehr von der Steppe ab. Dann kommen wir zu den ersten Gärten von Villar de Mazarife.
Unsere Überraschung ist groß: das Dorf macht einen lebendigen und sehr ordentlichen Eindruck. Keine Spur von Passivität und Vernachlässigung. Zwei Lebensmittelgeschäfte sind offen, und die Leute grüßen uns freundlich. Ein kleiner Bub umkreist uns interessiert auf seinem Kinderfahrrad. Im Weiterwandern löst sich das Rätsel. Das Bild der Bebauung des Bodens ist radikal verändert: zwei Meter hoher Mais, grüne Rübenfelder, saftige Weiden mit weidenden Kühen, sauber gepflügte Äcker. Villar de Mazarife liegt genau an der Grenze einer grossen, bewässerten Zone. Die Bewohner verwenden ihre ganze Kraft auf die Bebauung der westlichen Hälfte ihres Gemeindegebietes. Die unbewässerte östliche Hälfte liegt brach.
Doch wir empfinden die Landschaft auf den folgenden Kilometern nicht etwa abwechslungsreicher als die Steppe, aus der wir kommen. Die intensiven Kulturen und die großen, rechteckigen Felder sind eintönig. Da waren die Disteln, die dürren Gräser und die runden, auf dem rissigen Boden liegenden Flußsteine doch interessanter. Es geht auf geometrisch geraden Straßen endlos durch die Felder, gute zweieinhalb Stunden, ohne daß wir durch ein Dorf kämen oder einem Menschen begegneten.
Gut, daß sich die Landschaft nun doch belebt. Wir kommen zu einem größeren Kanalsystem und merken, daß wir uns unweit des Río Órbigo befinden. Das zeigen auch die zahlreicher werdenden Häuser. Dann sind wir am Fluß. Er ist nicht groß
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