Santiago, Santiago
hinunter: ein Ort, um etwas zu essen. Auf der Südseite ist eine Steinbank aufgemauert, da lassen wir uns nieder. Der Weiher ist ganz klein, es scheint hier Grundwasser aufzustoßen, und die Senke ist grün. Schwarz-weiße Kühe weiden auf den Wiesen, und ein Bauer bringt sogar etwas Heu ein. Es ist das erste Großvieh, dem wir auf der Meseta begegnen, ein Zeichen, daß sich ihr Charakter mit der Nähe der Berge zu ändern beginnt.
Es ist fast Mittag, wie wir das Dorf hinter uns lassen. Vor uns liegt ein neues Stück der Ebene, nach der Karte sieben Kilometer, ohne ein einziges Haus. Noch zu Ende des 17. Jahrhunderts muß diese Einsamkeit mit Niederholz bedeckt gewesen sein. Ein italienischer Pilger aus Bologna, der im Jahre 1681 mit seinem Freund hier durchgekommen ist, fand am Wegrand einen toten Wanderer, an dem die Wölfe fraßen. Er erreichte, daß die Leute des folgenden Dorfes, El Burgo Ranero, den Leichnam holten und bestatteten.
Heute hausen hier keine Wölfe mehr, und die Ebene ist völlig kahl. Wir erkennen vor uns den hohen Getreidesilo von Burgo Ranero. Er ist nun in den nächsten zwei Stunden unser Richtpunkt. Nachdem wir eine Zeitlang gegangen sind, bleiben nur diese beiden Landmarken: hinter uns die Kirche von Bercianos, vor uns der weiße Turm des Silos, dazwischen eine fast ganz gerade Erdstraße.
Die Felder sind abgeerntet. Am Wegrand stehen Disteln und trockene Grasbüschel. Sie rascheln leise, wenn ein Hauch des warmen Windes die Ebene berührt. Wir treffen keinen Menschen an. Wie wird dieses Burgo Ranero aussehen, das verloren in der Ebene vor uns liegt? Gibt es hier noch Menschen, und wie sind sie geartet? Unsere Überraschung ist groß, wie wir bei den Häusern sind: diese und die Straßen sind gut unterhalten, braun zwar die meisten, wie in Bercianos, aber einige auch sauber geweißelt. Es geht auf die Zeit der Siesta zu, aber wir spüren, daß der Ort lebt. Einige jüngere Männer, Handwerker, sind noch an der Arbeit, und eine Gruppe von Kindern kommt von der Schule. Auch hier führt die Hauptstraße mitten durch das Dorf, auf die Kirche zu. In ihrer Nähe werden die Häuser immer freundlicher. Blumentöpfe stehen bei den Haustüren, auf den kleinen Balkonen und an den Fenstern. Es muß hier echte Nachbarschaft und Freude an der Gestaltung der Lebenswelt geben. Wir meinen zu spüren, daß uns die Einwohner hier noch eine Spur offener und selbstbewußter als in Bercianos grüßen.
Vor der Kirche wächst eine Akazie, das Langhaus und sein Vorbau sind geweißelt, der Turm ist aus Sichtbacksteinen. Auf dem Turmfirst liegt ein großes Storchennest, und die Turmspitze hat nicht nur ein Kreuz, sondern auch eine muntere Wetterfahne. Wir hätten gern einige Bewohner dieses Dorfes kennengelernt und herausgefunden, warum es so viel lebendiger ist als andere. Aber wir stoßen hier an die Grenzen dessen, was unsere mentalen Kräfte hergeben. Denn wir haben doch einige Marschstunden hinter uns, und uns plagt der Durst.
Überhaupt: wie weiter? Bis zum nächsten Ort mit einer Übernachtungsgelegenheit sind es noch drei gute Marschstunden. Das ist viel, und es ist weiterhin die gleiche, einsame Fläche. Zwei Kilometer von Burgo Ranero entfernt gibt es eine Bahnstation an der Linie nach León. Sollen wir abkürzen und den Zug dorthin nehmen? Ganz gut ist unser pilgerliches Gewissen bei dem Gedanken nicht, aber schließlich wählen wir diese Lösung. Wir wissen, daß die Vororte von León nicht sehr attraktiv sind, und was es auf dem Wege dorthin zu sehen gibt, haben wir vor Jahren gesehen.
So marschieren wir zur Station und finden hier eine Gaststätte, die zu Hause »Zum Bahnhof« heißen würde. Hier ist es kühl, die Männer, die an der Theke stehen, und der junge Bursche, bei dem ich mir unser Getränk hole, sind sehr herzlich zu uns müden Wanderern. Nach einer Zeit kommt der junge Mann sogar mit einigen »Tapas«, kleinen Stücken Eierkuchen und einem aufgeschnittenen Ei an unseren Tisch und schenkt sie uns:
wir sind berührt von diesem Zeichen der Gastfreundschaft. Ist sie vielleicht gerade darum noch so lebendig, weil der Ort so abgelegen und die Menschen aufeinander angewiesen sind?
Eine Stunde später fährt der Zug in die Station ein. Wir klettern erleichtert über die hohen Stufen in einen Wagen. In einer knappen halben Stunde sind wir in León, wo wir drei Ruhetage einzuschieben gedenken.
León: Romanik, Gotik, Renaissance und viel Leben
In León haben wir einige ganz praktische Dinge zu
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