Saphirblau
dass ich ihn ansehen konnte. Es war zu dunkel, um seinen Gesichtsausdruck deuten zu können, aber ich sah, dass er nicht lächelte. »Es wäre schön, wenn du in den Sekunden, in denen ich weg bin, stehen bleiben könntest. Bereit?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich.«
»Ich lasse dich jetzt los«, sagte er und im gleichen Augenblick war er verschwunden. Ich war allein in der Kirche mit all ihren dunklen Schatten. Aber nur wenige Sekunden später registrierte ich das Schwindelgefühl in meinem Bauch und die Schatten begannen, sich zu drehen.
»Da ist sie ja«, sagte die Stimme von Mr George. Ich blinzelte ins Licht. Die Kirche war hell erleuchtet und die Halogenstrahier waren, verglichen mit dem goldenen Kerzenlicht in Lady Bromptons Salon, richtig unangenehm fürs Auge.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte Gideon, wobei er mir einen prüfenden Blick zuwarf. »Sie können Ihren Arztkoffer wieder zusammenklappen, Dr. White.«
Dr. White knurrte etwas Unverständliches. Tatsächlich war der Altar mit allerlei Gerätschaften bestückt, die man eher auf einem dieser fahrbaren Tischchen in einem Operationssaal vermutet.
»Lieber Himmel, Dr. White, sind das etwa Aderklemmen?« Gideon lachte. »Wie schön zu wissen, was Sie von einer Soiree im 18. Jahrhundert halten.«
»Ich wollte für alle Eventualitäten vorbereitet sein«, sagte Dr. White, während er seine Instrumente in die Tasche zurückräumte.
»Wir sind sehr auf euren Bericht gespannt«, sagte Falk de Villiers.
»Erst einmal freue mich darauf, aus diesen Klamotten herauszukommen.« Gideon knotete das Halstuch auf.
»Hat denn alles ... geklappt?«, fragte Mr George mit einem nervösen Seitenblick auf mich.
»Ja«, sagte Gideon, während er das Halstuch von sich warf. »Es lief alles genau nach Plan. Lord Alastair kam zwar etwas später als erwartet, aber noch rechtzeitig, um uns zu sehen.« Er grinste mich an. »Und Gwendolyn hat ihre Sache ausgezeichnet gemacht. Das echte Mündel des Viscount of Batten hätte sich nicht vollkommener verhalten können.«
Ich konnte nicht verhindern, dass ich rot anlief.
»Es wird mir eine Freude sein, Giordano davon zu berichten«, sagte Mr George mit Stolz in der Stimme und reichte mir seinen Arm. »Nicht, dass ich etwas anderes erwartet hätte .. .«
»Nein, natürlich nicht«, murmelte ich.
Caroline weckte mich mit einem Flüstern: »Gwenny, hör auf zu singen! Das ist peinlich! Du musst in die Schule!«
Ich setzte mich ruckartig auf und starrte sie an. »Ich habe
gesungen?«
»Was?«
»Du hast gesagt, ich soll aufhören zu singen.« »Ich habe gesagt, du sollst aufwachen!« »Ich habe also nicht gesungen?«
»Du hast geschlafen«, sagte Caroline kopfschüttelnd. »Beeil dich, du bist schon wieder spät dran. Und von Mum soll ich dir ausrichten, dass du auf keinen Fall ihr Duschgel benutzen sollst!«
Unter der Dusche versuchte ich, die Erinnerungen an den gestrigen Tag möglichst zu verdrängen. Aber es wollte mir nicht so recht gelingen, weshalb ich etliche Minuten damit vergeudete, meine Stirn gegen die Duschkabinentür zu lehnen und »Das habe ich alles nur geträumt« vor mich hin zu murmeln. Meine Kopfschmerzen machten es auch nicht gerade besser.
Als ich endlich ins Esszimmer hinunterkam, war die Frühstückszeit glücklicherweise schon so gut wie vorbei. Xemerius hing am Kronleuchter und baumelte mit dem Kopf.
»Na, wieder nüchtern, kleine Saufnase?«
Lady Arista musterte mich von Kopf bis Fuß. »Ist das Absicht, dass du nur das eine Auge geschminkt hast?«
»Äh, nein.« Ich wollte wieder umdrehen, aber meine Mutter sagte: »Erst frühstücken! Die Wimpern kannst du später noch tuschen.«
»Frühstück ist immer noch die wichtigste Mahlzeit des Tages«, ergänzte Tante Glenda.
»Unsinn!«, sagte Tante Maddy. Sie saß in ihrem Morgenmantel auf dem Lehnsessel vor dem Kamin und hatte ihre Knie angezogen wie ein kleines Mädchen. »Man kann das Frühstück auch weglassen - damit spart man eine Menge Kalorien, die man abends in ein Gläschen Wein investieren kann. Oder auch zwei oder drei.«
»Die Vorliebe für alkoholische Getränke scheint in der Familie zu liegen«, sagte Xemerius.
»Ja, wie man sehr schön an ihrer Figur sehen kann«, flüsterte Tante Glenda.
»Ich mag ein bisschen dick sein, aber keinesfalls schwerhörig, Glenda«, sagte Tante Maddy.
»Du wärst besser im Bett geblieben«, sagte Lady Arista. »Das Frühstück ist für alle Beteiligten entspannter, wenn du
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