Saphirblau
stützte einen Arm neben meinem Kopf an die Wand und sah mich ernst an. »So geht das irgendwie nicht weiter.«
Ich versuchte, meinen Atem unter Kontrolle zu bringen.
»Gwen . . .«
Hinter uns im Gang ertönten Schritte. Blitzschnell zog Gideon seinen Arm zurück und drehte sich um. Einen Wimpernschlag später stand Mr George vor uns. »Da seid ihr ja. Wir warten schon auf euch. Warum hat Gwendolyn die Augen nicht verbunden?«
»Das hatte ich ganz vergessen. Bitte machen Sie das«, sagte Gideon und reichte Mr George das schwarze Tuch. »Ich . . . äh .. . gehe schon vor.«
Mr George sah ihm mit einem Seufzer hinterher. Dann blickte er mich an und seufzte noch einmal. »Ich dachte, ich hätte dich gewarnt, Gwendolyn«, sagte er, während er mir die Augen verband. »Du solltest vorsichtig sein, was deine Gefühle angeht!«
»Tja«, sagte ich und fasste mir an die verräterisch glühenden Wangen. »Dann sollten Sie mich nicht so viel Zeit mit ihm verbringen lassen . . .«
Das war ja wohl mal wieder typisch Wächterlogik. Wenn sie verhindern hätten wollen, dass ich mich in Gideon verliebte, dann hätten sie auch dafür sorgen müssen, dass er ein unattraktiver Blödmann geworden wäre. Mit einem Deppenpony, schmutzigen Fingernägeln und einem Sprachfehler. Das mit der Violine hätten sie auch besser sein gelassen.
Mr George führte mich durch die Dunkelheit. »Vielleicht ist es einfach zu lange her, dass ich sechzehn Jahre alt war. Ich weiß nur noch, wie leicht man in diesem Alter zu beeindrucken ist.«
»Mr George - haben Sie eigentlich irgendjemandem erzählt, dass ich Geister sehen kann?«
»Nein«, sagte Mr George. »Ich meine, ich habe es versucht, aber niemand wollte mir zuhören. Weißt du - die Wächter sind Wissenschaftler und Mystiker, aber mit Parapsychologie haben sie es nicht so. Vorsicht Stufe.«
»Leslie - das ist meine Freundin, aber wahrscheinlich wissen Sie das längst -, also, Leslie meint, dass diese ... Fähigkeit die Magie des Raben sei.«
Mr George schwieg eine Weile. »Ja. Das glaube ich auch«, sagte er dann.
»Und wobei genau soll mir die Magie des Raben helfen?«
»Mein liebes Kind, wenn ich dir das nur beantworten könnte. Ich wünschte, du würdest mehr auf deinen gesunden Menschenverstand bauen, aber . . .«
»... aber der ist hoffnungslos verloren, wollten Sie sagen?« Ich musste lachen. »Wahrscheinlich haben Sie recht.«
Gideon wartete im Chronografenraum auf uns, zusammen mit Falk de Villiers, der mir ein etwas zerstreutes Kompliment über mein Kleid machte, während er die Zahnrädchen am Chronografen in Bewegung setzte.
»Also, Gwendolyn, heute findet dein Gespräch mit dem Grafen von Saint Germain statt. Es ist Nachmittag, ein Tag vor der Soiree.«
»Ich weiß«, sagte ich mit einem Seitenblick auf Gideon.
»Das ist keine besonders schwierige Aufgabe«, sagte Falk. »Gideon wird dich hinauf in seine Räumlichkeiten bringen und dort auch wieder abholen.«
Das hieß wohl, ich sollte allein mit dem Grafen bleiben. Sofort machte sich ein beklemmendes Gefühl in mir breit.
»Keine Angst. Ihr habt euch doch gestern so gut verstanden. Weißt du nicht mehr?« Gideon legte seinen Finger in den Chronografen und lächelte mich an. »Bereit?«
»Bereit, wenn du es bist«, sagte ich leise, während sich der Raum mit weißem Licht füllte und Gideon vor meinen Augen verschwand.
Ich trat einen Schritt vor und reichte Falk meine Hand.
»Die Parole des Tages lautet: Qui nescit dissimulare nescit regnare«, sagte Falk, während er meinen Finger in die Nadel drückte. Der Rubin leuchtete auf und alles vor meinen Augen verwirbelte zu einem roten Farbstrom.
Als ich landete, hatte ich die Parole schon wieder vergessen.
»Alles in Ordnung«, sagte Gideons Stimme direkt neben mir.
»Warum ist es hier so dunkel? Der Graf erwartet uns doch. Er hätte uns ja netterweise eine Kerze anzünden können.«
»Ja, aber er weiß nicht genau, wo wir landen«, sagte Gideon.
»Warum nicht?«
Ich konnte es nicht sehen, aber es kam mir so vor, als ob er mit den Schultern zuckte. »Er hat noch nie danach gefragt und ich habe das unbestimmte Gefühl, dass es ihm nicht so angenehm wäre, dass wir sein geliebtes Aichemielabor als Start- und Landebahn missbrauchen. Sei vorsichtig, hier ist alles voller zerbrechlicher Gegenstände . . .«
Wir tasteten uns bis zur Tür. Draußen im Gang entzündete Gideon eine Fackel und nahm sie aus ihrer Halterung. Sie warf unheimliche zuckende Schatten an die
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