Saphirblau
.«
». . . und spätestens, seit er vor fünf Jahren einen Aufsatz über bisher unbekannte Quellen zu einer Londoner Geheimgesellschaft mit Verbindungen zu den Freimaurern und dem legendären Grafen von Saint Germain veröffentlichte, beschlossen die Wächter, ihn dringend näher kennenlernen zu müssen«, sagte Gideon von weiter vorn. Seine Stimme hallte von den steinernen Wänden wider.
Mr George räusperte sich. »Ähm, ja, das auch. Vorsicht, Stufe.«
»Verstehe«, sagte ich. »Dann ist Giordano also Mitglied bei den Wächtern, damit er sie nicht verpetzen kann. Was waren das denn für unbekannte Quellen?«
»Jedes Mitglied gibt der Gesellschaft etwas, das sie stärker macht«, sagte Mr George, ohne auf meine Frage einzugehen. »Und Mr Giordanos Fähigkeiten sind besonders vielfältig.«
»Ohne Zweifel«, sagte ich. »Welcher Mann kann sich schon selber ein Strasssteinchen auf den Fingernagel kleben?«
Ich hörte Mr George husten, als ob er sich verschluckt hätte. Eine Weile gingen wir schweigend nebeneinanderher.
Von Gideon waren nicht mal mehr Schritte zu hören, ich nahm an, dass er vorgegangen war (durch meine Augenbinde waren wir nämlich schneckenlangsam). Schließlich fasste ich mir ein Herz und fragte leise: »Warum genau werde ich auf diese Soiree und den Ball gehen, Mr George?«
»Oh, hat dich noch niemand darüber informiert? Gideon war gestern Abend - oder vielmehr in der Nacht - beim Grafen, um ihn über eure jüngsten . . . Abenteuer aufzuklären. Und er kam mit einem Brief zurück, in welchem der Graf ausdrücklich wünscht, dass du und Gideon ihn auf eine Soiree zu Lady Brompton begleitet sowie zu einem großen Ball einige Tage später. Außerdem steht noch ein Nachmittagsbesuch in Temple an. Ziel des Ganzen ist, dass der Graf dich näher kennenlernt.«
Ich dachte an meine erste Begegnung mit dem Grafen und schauderte. »Ich verstehe, dass er mich besser kennenlernen will. Aber - warum möchte er, dass ich unter fremde Leute gehe? Ist das eine Art Test?«
»Es beweist einmal mehr, dass es keinen Zweck hat, dich aus allem herauszuhalten. Ehrlich gesagt habe ich mich über diesen Brief sehr gefreut. Es zeigt, dass der Graf dir weit mehr zutraut als so manch einer der Herren Wächter, die denken, dass du nur eine Art Statistin in diesem Spiel bist.«
»Und eine Verräterin«, sagte ich und dachte an Dr. White.
»Oder
eine Verräterin«, sagte Mr George leichthin. »Die Meinungen gehen da auseinander. So, wir sind angekommen, mein Mädchen. Du kannst die Augenbinde abnehmen.«
Gideon wartete bereits auf uns. Ich versuchte noch ein letztes Mal, ihn loszuwerden, indem ich ankündigte, ein Shakespeare-Sonett auswendig lernen zu müssen, was ich nur laut könnte, aber da zuckte er nur mit den Schultern und meinte, er habe seinen iPod dabei und würde mich gar nicht hören. Mr George befreite den Chronografen aus dem Safe und schärfte uns ein, bloß nichts liegen zu lassen. »Nicht den kleinsten Papierschnipsel, hörst du, Gwendolyn? Du bringst den gesamten Inhalt deiner Schultasche wieder mit hierher. Und die Schultasche selber natürlich auch. Verstanden?«
Ich nickte, nahm Gideon die Tasche aus der Hand und drückte sie fest an mich. Dann reichte ich Mr George meinen Finger. Und zwar dieses Mal den kleinen - der Zeigefinger war schon zu sehr von den Nadelstichen malträtiert worden. »Und falls jemand den Raum betritt, während wir da sind?«
»Das wird nicht passieren«, versicherte Gideon. »Es ist nämlich dort mitten in der Nacht.«
»Na und? Es könnte doch jemand auf die Idee kommen, ein inspiratives Treffen im Keller abzuhalten.«
»Konspirativ«, sagte Gideon. »Wennschon.«
»Wie bitte?«
»Keine Sorge«, sagte Mr George und schob meinen Finger durch das geöffnete Kläppchen ins Innere des Chronografen. Ich biss mir auf die Lippen, als sich das altbekannte Achterbahngefühl in meinem Magen breitmachte und die Nadel sich in mein Fleisch bohrte. Der Raum wurde in rubinrotes Licht getaucht, dann landete ich in völliger Dunkelheit.
»Hallo?«, fragte ich leise, aber niemand antwortete mir. Eine Sekunde später landete Gideon neben mir und knipste sofort eine Taschenlampe an.
»Siehst du, gar nicht so ungemütlich hier«, sagte er, während er zur Tür ging und das Licht einschaltete. Immer noch hing nur eine nackte Glühbirne von der Decke, aber der Rest des Raumes hatte seit meinem letzten Besuch eindeutig gewonnen. Mein erster Blick galt der Wand, in die Lucas unser
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