Saphirtraenen (Gesamtausgabe)
zuschnürt, freut sie sich, wenn all das endlich vorbei ist und sie als gefeierte Heldin in ihr Dorf zurückkehren kann.
Mit einem Lächeln im Gesicht beobachtet sie wie immer mehr Sterne den Himmel mit ihrem schwachen Schein erleuchten.
Der Gestank von Unrat und toten Tierkadavern hängt in den Gassen der Stadt und ist dort ebenso fester Bestandteil wie die zerlumpten Gestalten, die sich in dunkle Ecken kauern, um zuzuschlagen, sobald ein wehrloser Wanderer ihren Weg kreuzt, der dumm genug ist, sich nachts allein herauszuwagen.
Arg’e ist bekannt für seine armen Bewohner und die zerfallenen Ruinen. Obwohl die Stadt direkt am Fuß des weitläufigen Gebirges liegt und damit ein perfekter Handelspunkt ist, weigert sich der Großteil der Bevölkerung hartnäckig, Handel mit den Ilyea zu treiben. Furcht, Hass und alte Moral halten sie davon ab und zwingen sie in ein Leben voller Armut, Krankheiten und Enttäuschungen. Lieber tragen sie dreckige Lumpen am Leib als sich mit den kinderfressenden Ilyea einzulassen.
Doch das ist nicht immer so gewesen: Vor langer Zeit lebten Berg-Ilyea in den Häusern der Menschen, trieben in Arg’e Handel und erfreuten sich dank ihres Bernsteinschmucks großer Beliebtheit. Bis das Kind einer Bauersfrau tot im Keller eines ilyeaischen Schmuckmachers gefunden wurde.
Dieser Tag und diese Entdeckung änderte alles. Die Ilyea wurden aus der Stadt gejagt, die Bernsteinvorräte als schwarze Magie gehandelt und vergraben. Dass nicht der Ilyea, sondern ein Verehrer der Frau ihr Kind getötet hatte, erfuhr nie jemand.
Die absonderlichen Wesen mit den spitzen Ohren und den goldenen Augen wurden zu Figuren von Horrorgeschichten, die man unartigen Kindern erzählte und die blühende Stadt verwelkte ebenso schnell wie eine Rose im Winter. Doch im Gegensatz zur Rose konnte Arg’e nicht auf einen neuen Frühling hoffen.
Cedric rümpft angewidert die Nase, während er einen ausfallenden Schritt macht, um seine braunen Lederstiefel vor dem Haufen Hundescheiße zu bewahren, welcher mitten auf der Straße liegt.
Nein, Arg’e gehört definitiv nicht zu seinen Lieblingsstädten. Am Ende der Gasse dringt Lärm und Licht auf die Straße. Ein Schild mit der Aufschrift „Zum toten Berg“ weißt das gedrungene Haus, mit dem schiefen Dach und den zahlreichen Flecken verschiedenster Körperausscheidungen betrunkener Menschen an der Wand als die Kneipe aus, die Cedric empfohlen wurde.
„Das soll also die beste Herberge sein?“, schimpft er und steuert direkt darauf zu.
Er verflucht seinen Vater dafür, dass er gerade ihn auf diese Reise geschickt hat.
Cedric ist gut gebaut, seine breiten Schultern und muskulösen Arme werden durch den schwarzen Mantel eher hervorgehoben, als verdeckt. Nervös zieht er sich die Kapuze tiefer ins Gesicht, bevor er die löchrige Holztür aufstößt. Der nächtliche Lärm einer normalen Gaststube schlägt ihm entgegen. Neben einem lodernden Feuer in einem alten Kamin erhellen mehrere Kerzen in verrosteten Wandhalterungen den Raum. Das Mobiliar, bestehend aus mehreren runden Tischen und dazu passenden Stühlen, hat seine besten Tage längst hinter sich, dennoch ist der Gastraum für die späte Stunde ordentlich gefüllt. Ein stämmiger Mann haut wütend auf den Tisch und schüttet sich den Rest seines Bieres in den Rachen, als er merkt, dass er das Kartenspiel verloren hat.
Niemand scheint den Neuankömmling zu bemerken.
Dieser bahnt sich schnell einen Weg zum Tresen an dem ein junger Mann gerade ein Glas mit einem schmutzigen Tuch bearbeitet. Sein strähniges, fettiges Haar hängt ihm dabei ins Gesicht, aber ihn scheint das nicht zu stören.
„Ein Zimmer bitte.“
„Wie lange bleibt Ihr?“, entgegnet der Herbergsvater, ohne Cedric eines Blickes zu würdigen.
„Das weiß ich noch nicht genau.“
Der Mann greift unter die Theke und knallt einen rostigen Schlüssel vor Cedric auf das abgegriffene Holz.
„Drei Bronzetaler pro Nacht, Zimmer Vier. Treppe hoch, den rechten Gang entlang, letztes Zimmer.“
Ohne Umschweife nimmt Cedric den Schlüssel an sich und wendet sich dem Treppenaufgang zu.
Sein Auftrag ist klar: In wenigen Tagen soll in Arg’e eine junge Mischlings-Ilyea auftauchen. Diese soll er sicher in sein Dorf geleiten. Nur sie, keine Begleiter. Solange muss er in dieser stickigen Kneipe ausharren. Zumindest eine Sache gefällt Cedric: Hier werden wirklich keine unnötigen Fragen gestellt.
Mit sicherem Schritt steigt er die knirschenden Holztreppen
Weitere Kostenlose Bücher