Saphirtraenen (Gesamtausgabe)
stoße ich mir meine Hand an dem harten Stein und fluche laut.
„Aber wir können nicht ewig warten. Die Dämonen sind sicherlich schon auf dem Weg.“
Sein trauriger Gesichtsausdruck lässt mich verstummen und löst meine Wut in Luft auf.
„Das wissen wir alles. Aber unüberlegte Entscheidungen können manchmal mehr zerstören, als wir alle ahnen.“
Plötzlich ertönt ein glockenheller Klang durch den Berg und wischt Cedrics Kummer hinfort. Ein strahlendes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus und seine Augen sprühen voller Freude.
„Komm. Die Geschichtenerzählerin möchte uns etwas berichten.“
Mein Herz macht einen freudigen Sprung, als ich die Gemeinsamkeit zwischen seinem und meinem Volk erkenne. Eine Glocke, die immer geschlagen wird, wenn der Erzähler es für angebracht hält, eine seiner Anekdoten zum Besten zu geben. Auch in unserem Dorf kamen zu solchen Anlässen alle zusammen und versammelten sich auf dem Platz.
Hier ist es ebenfalls so. Jung und Alt scharren sich um das große lodernde Feuer in der Mitte der runden Halle und warten gespannt. Die Flamme scheint sich der erwartungsvollen Atmosphäre angepasst zu haben und verbreitet nur noch spärlich Licht. Die flackernden Schatten tanzen verheißungsvoll über unsere Gesichter, die einem großen Marmorblock zugewandt sind, auf dem ein großer steinerner Stuhl steht.
Bei uns im Dorf begnügte sich der alte Geschichtenerzählter stets mit dem staubigen Boden und einer Schüssel warmer Suppe.
Vom Rande des Raumes kommt eine schmächtige Gestalt an gehumpelt. Ihr rechtes Bein lahmt und die einst goldenen Haare sind schneeweiß. Ihr Gewicht lagert größtenteils auf einem soliden Holzstab.
Ein Raunen geht durch die Menge der Wartenden und vereinzelt lassen sich die Ilyea auf den Boden sinken. Auch ich mache es mir neben Cedric bequem und warte, bis die Erzählerin schließlich das Marmorpodest bestiegen und es sich auf ihrem Stuhl bequem gemacht hat. Ihre Gehhilfe lehnt sie gegen die steinerne Lehne.
Sofort bringen zwei Kinder ihr Schalen voller Früchte und einen Steinbecher mit Wasser. Dankbar nimmt sie einen Schluck, streckt die schmerzenden Beine durch und sieht mit trüben Augen auf uns herab.
„Sie ist blind“, entfährt es mir erstaunt, woraufhin eine ältere Frau neben mir mich böse anstarrt. Als sie meine Andersartigkeit bemerkt, blickt sie irritiert wieder zu der blinden Ilyea hinauf.
„Seid gegrüßt, meine Freunde!“
Die förmliche Anrede überrascht mich.
„Es scheint sich schon herumgesprochen zu haben, dass wir eine Besucherin aus dem weit entfernten Dorf Cad’e bei uns begrüßen dürfen.“
Applaus ertönt, einige Ilyea werfen mir einen freundlichen Blick zu und ich erröte.
„Zu diesem Anlass möchte ich euch die Geschichte von DEUTERONOMICUS erzählen.“
Einige der jüngeren Kinder werden aus dem Kreis geschickt und ich sehe mich ratlos um. Den Namen DEUTERONOMICUS habe ich noch nie gehört.
„Vor langer Zeit, als der tote Wald noch voller Leben war, wohnte dort eine alte Menschenfrau, die von Gram und Hass zerfressen wurde. Sie hasste die Ilyea dafür, dass sie die Elemente beherrschen konnten, wohingegen die Menschen diese Gabe nie zu nutzen lernten.
Wie wir wissen, liegt das Geheimnis nicht in unserem Erbe, sondern in unserer Weisheit. Würden die Menschen nicht ständig nach Macht streben, würden auch sie erkennen, dass die Elemente ihnen freundlich gesinnt sind. Wir behandeln den Stein als Freund und so erweist er uns jeden Gefallen. Die Menschen behandeln die Natur als Untertan und deshalb verweigern die Elemente ihnen ihren Dienst.
Eines Tages tötete die Menschenfrau ob ihres großen Hungerleides eine alte Pandabärin. Als sie das Fleisch restlos verzehrt hatte und gerade dabei war, aus dem Fell einen Mantel für den Winter zu fertigen, hörte sie klagende Laute vor ihrer Hütte.
Ein kleines Pandababy, vermutlich das der Bärin, die sie getötet hatte, sah sie mit großen Augen an.
Gerne würde ich euch erzählen, dass die alte Frau das Kind aus Mitleid und Reue zu sich nahm und aufzog, doch wir alle wissen, dass in ihrem verschrumpelten Herzen kein Platz für solche Regungen war.
Jahrelang kümmerte sie sich um das Jungtier und fütterte es...“
Ein Raunen geht durch die Anwesenden Ilyea in Erwartung der kommenden Worte. Gespannt lehne ich mich nach vorne und beim nächsten Satz halte ich erschrocken die Luft an.
„...mit Ilyea-Fleisch. Wo sie nur konnte stellte sie den
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