Saphirtraenen (Gesamtausgabe)
Vorstellung, dass ich eine dieser gefühllosen Ungeheuer werde, lässt mein Herz schneller schlagen.
„... würdest als wundervolle Kristallfigur den Wald verzieren. Wenn du Glück hast, stellen wir dich auch in unser zukünftiges Haus.“
Mir ist klar, dass es ein Scherz sein soll, aber mir ist nicht nach Lachen zumute.
„Das ist nicht witzig“, knurre ich deshalb, aber Enya schweigt. Ihr Gesicht ist noch blasser als zuvor.
Die letzten Sonnenstrahlen tauchen die Umgebung in glühendes Blut, ehe sie komplett erlöschen. Der Wald ist grau und verliert an Kontur.
Unwillkürlich halte ich den Atem an, in der Hoffnung, dass die Schatten so nicht auf uns aufmerksam werden. Zunächst scheint dieser Plan aufzugehen. Allein ein paar silbrige Mondstrahlen verirren sich zu uns, sonst ist es still.
Keine dunkle Gestalten, die sich bewegen. Keine langgliedrigen Finger, die nach uns greifen.
Doch dann sehe ich ihn. Ein Schatten, so groß wie der Baum, neben dem er steht. Seine glühenden Augen sind in den Nachthimmel gerichtet, der unförmige Kopf bewegt sich in einem sanften Windhauch hin und her. Mit den Armen langt er nach dem toten Gewächs, aber sie gleiten hindurch, als würde er aus Nebel bestehen. Hinter ihm tauchen noch mehr auf. Die Dunkelheit wird undurchdringlicher, sammelt sich an wenigen Orten und bildet Beine, Rumpf, Kopf.
Cedric legt mir seine warme Hand auf den Mund als ein panischer Laut zwischen meinen Lippen hervordringt. Die Schatten materialisieren sich schneller, werden größer. Ihre roten Augen sind uns zugewandt, glühend wie Kohlen und doch erhellen sie nichts.
Wir verharren noch einen Augenblick um sicher zu gehen, dass sie uns wirklich bemerkt haben. Einer von ihnen löst sich aus der Reihe und macht einen ausladenden Schritt auf uns zu.
Ohne zu zögern lässt Edan das Lith loslaufen. Ich spüre, wie das mächtige Tier unter mir zittert.
„Wir sind zu viele. Der Zauber konnte uns nicht alle beschützen“, flucht der Halbdämon und lenkt sein Reittier geschickt zwischen den Bäumen hindurch. Äste knacken und kalter Wind treibt mir Tränen in die Augen. Ich wische sie weg und drehe mich um.
Die Schatten folgen uns. Ihre konturlosen Beine scheinen mit jedem Schritt länger zu werden. Sie holen auf.
Plötzlich hören wir etwas klirren. Das Lith jault auf und fällt hin. Dunkelheit, Himmel und Boden vermischen sich zu einem einzigen Durcheinander.
„Alles in Ordnung?“
Edans Hand streicht beruhigend über die Stelle, an der er unser Kind vermutet. Es strampelt mit seinen kleinen Beinen gegen meinen Bauch und wir beide seufzen erleichtert auf.
Ich versuche mich zu orientieren. Das große Reptil liegt wimmernd am Boden, Etwas leuchtendes steckt in einem seiner Füße. Das spärliche Mondlicht reicht kaum aus, um etwas zu erkennen, aber in diesem Moment wünsche ich mir, dass die Finsternis vollkommen ist.
Schimmerndes Kristall ragt aus den Klauen des Tieres. Vorsichtig trete ich näher, während Edan und Cedric panisch an dem Hindernis zerren, das unsere Fluchtmöglichkeit zu Fall gebracht hat.
Drei von uns halten entsetzt die Luft an, Enya schreit laut auf. Eine Ilyea mit langem Haar, symmetrischem Gesicht und angsterfülltem Gesichtsausdruck blickt uns entgegen. Sie besteht komplett aus Kristall.
Durch ihren glasigen Körper erkenne ich den mit Laub und toten Wurzeln übersäten Waldboden. Ihre Hände, die sie abwehrend nach oben streckt, sind mit dem Blut des Lith verschmiert. Der warme Lebenssaft rinnt langsam ihre Arme hinab. Sie ist, bis auf eine goldene Kette, die um ihren Hals hängt, vollkommen nackt. Wahrscheinlich liegt sie schon so lange hier, dass ihre Kleidung Futter für kleines Getier wurde.
Die Schatten hinter uns kommen näher.
"Wir müssen weiter!"
Mit aller Kraft drücke ich gegen das Lith und zwinge es, aufzustehen. Das große Reptil schnauft angestrengt, dennoch hebt es seinen schuppigen Körper nach oben. Es reißt sein Maul auf und lässt einen schaurigen Laut ertönen, der mir sicherlich Angst gemacht hätte, wenn ich die Schatten nicht hinter uns wüsste.
Edan sitzt schon im Sattel und hält mir seine Hand hin. Dankbar nehme ich sie an und schwinge mich gleichzeitig mit Cedric auf das Tier.
Enya steht noch immer erstarrt unter uns, ihr Blick ist auf den kristallenen Ilyea gerichtet.
"Komm schon!"
Fordernd sehe ich sie an, aber sie rührt sich nicht. Ihre türkisblauen Augen sind in der Dunkelheit nicht erkennbar, ihr Mund ist noch immer zu einem
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