Saphirtraenen (Gesamtausgabe)
Berge, bevor die Sonne untergegangen ist und ich atme erleichtert auf.
Sie erheben sich bedrohlich dunkel vor uns. Dunkle Aschewolken hängen zwischen den feuerspuckenden Gipfeln. Hilfesuchend schiebt sich eine glatte, kühle Hand in meine. Enya.
Ein Rubin wird von einem starken Luftzug erwischt und auf den harten Felsen geschmettert, der den erdigen Waldboden abgelöst hat.
„Hier soll Deargh auf uns warten?“, frage ich zweifelnd.
Nach dem düsteren Prunk seines Schlosses wirken mir diese barbarischen Felsen nicht wie etwas, was dem Dämonenfürst angemessen erscheint. Edan nickt grimmig und würdigt mich keines Blickes. Auf eine merkwürdige Art bin ich ihm dankbar dafür, denn ein Blick in seine goldenen Augen hätte mich an seine Kaltherzigkeit erinnert.
Ich habe nicht damit gerechnet, dass das Kribbeln in meinem Bauch so schnell gegen einen harten Stich abgelöst werden würde. Aber seine emotionslose Reaktion Enya gegenüber hatte meine Liebe zu ihm zertrümmert. Es fühlt sich an, als hätte jemand dieses warme Gefühl genommen und in ein eiskaltes Meer aus Hoffnungslosigkeit und Schmerz geworfen, wo es nun hilflos ertrinken musste. Ich würde ihm nicht helfen.
Um meine eigenen Gedanken zu verdeutlichen rutsche ich näher an Cedric heran.
Er legt mir behutsam eine der zahlreichen Decken, die wir mit uns führen, um die Schultern.
„Wann sind wir da?“, flüstert Enya. Selbst ihre Stimme hört sich atemberaubender an als zuvor. Hell und klar wie ein See im Morgenlicht.
„Wenn Deargh denkt, dass es an der Zeit ist, anzukommen“, entgegnet Edan und macht keinen Hehl daraus, wie ungern er die Meer-Ilyea bei sich hat.
Enya scheint seinen hasserfüllten Tonfall entweder nicht gehört zu haben, oder es ist ihr egal. Das Lith klettert über schwarzen Fels, aus dessen Ritzen heißer Dampf aufsteigt. Geschickt weicht das Lith diesen kochenden Quellen aus und manövriert zielsicher auf einen Gipfel zu, der noch düsterer scheint als die anderen.
Auf diesem toten Fels gedeiht keine einzige Pflanze. Kein Fleckchen Grün durchbricht den pechschwarzen Untergrund, der Falten wirft wie ein unordentlich zusammengelegtes Tuch. Die starken Krallen des Lith hinterlassen tiefe Spuren in dem porösen Gestein. Kleine Brocken rollen den Abgrund hinunter, der sich rechts von uns aufgetan hat wie ein hungriger Schattenschlund. Krampfhaft halte ich meinen Blick in den tristen grauen Himmel gerichtet, um mich nicht in dem finsteren Loch zu verlieren. Hier und da glühen rote Feuerfunken auf und malen die Wolken orange. Aus den Tiefen der Schlucht ertönt ein Grollen. Enyas kristallene Gestalt zittert so sehr, dass zarte Glockenklänge durch die Luft schallen. Ich schließe die Augen und wünsche mich erneut in meine Vergangenheit. Zurück an jenen bedeutungsvollen Frühlingsfesttag. Den Tag, an dem die erste Knospe blüht und ihr sanftes Lied durch den Wald hallen lässt. An diesem Tag ist es Tradition, unser Dorf mit zahllosen Glocken zu schmücken, die aus Gold und Kristall gearbeitet sind. Das Lied der ersten Knospe habe ich nie vernommen, da ich damals noch keinen Zugang zu den Elementschwingungen hatte. Jetzt wünsche ich mir, dass es anders ist und ich nur einmal am Frühlingsfesttag im Wald sein könnte um die zauberhafte Melodie zu hören.
Meine Gedanken fliegen zurück in mein Haus, an mein Fenster, aus dem ich mit flauem Magen auf die Vorbereitungen hinausstarre. In meinen Händen halte ich einige der Glocken, die ich an meinen Baum hängen soll, aber ich habe nicht die Kraft, um mich an diesem merkwürdigen Ritual zu beteiligen. Alle Ilyea laufen mit einem verzückten Gesichtsausdruck umher, ausgelöst von dem Lied der Knospe. Aber ich höre nichts außer dem Rauschen des Windes. Wie immer. Frustration macht sich in mir breit. Wütend werfe ich die zart gearbeiteten Glocken auf den Boden. Eine von den Goldenen trägt eine tiefe Delle davon. Es interessiert mich nicht. In einem Anflug kindlichen Trotzes trete ich noch einmal nach ihr und sie wird vollkommen zerdrückt.
Mit Tränen in den Augen wende ich mich vom Fenster ab und beobachte mich einmal mehr in meiner spiegelnden Wasseroberfläche. Saphirblaue Augen. Abartig.
Draußen erklingen die ersten Glockentöne. Sie sollen das Lied der Knospe nachbilden und ihm so Tribut zollen. Für mich sind sie die einzige Möglichkeit, es überhaupt zu hören.
Laut der anderen Ilyea klingen die Glocken allerdings nicht annähernd so schön wie das Original. In
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