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Saphirtraenen (Gesamtausgabe)

Saphirtraenen (Gesamtausgabe)

Titel: Saphirtraenen (Gesamtausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Jaeger
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meinen Ohren ist ihre Melodie das Wundervollste, was ich das ganze Jahr über vernehme.
    „Niamh?“
    Ich zucke überrascht zusammen und stelle mich instinktiv zwischen die zertretenen Glocken und meine Mutter, die gerade durch die Tür kommt.
    Sie kennt mich schon lange genug um zu merken, dass etwas nicht stimmt. Mitleid liegt in ihren smaragdgrünen Augen, die mich immer wieder an frisches Laub erinnern.
    Vorsichtig kommt sie näher und streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
    „Der Frühlingstanz beginnt bald. Dein Baum ist noch ungeschmückt“, ermahnt sie mich und sieht sich dabei suchend im Zimmer um. Ihr Blick fällt auf den Haufen kaputten Metalls und Kristalls.
    „Ach Niamh.“
    Ihr Seufzen verrät mir, dass sie nicht wütend ist. Nein. Sie ist enttäuscht. Und das ist noch viel schlimmer. Es bricht mir fast das Herz, sie so traurig und hilflos zu sehen, nachdem sie immer alles für mich getan hat.
    „Es tut mir leid“, nuschele ich und meine es ernst.
    „Warum?“
    Ihre Frage impliziert mehr – Sie will nicht einfach nur wissen, weshalb ich die Glocken zertrümmert habe. Sie fragt sich auch, was sie bei meiner Erziehung falsch gemacht hat und woher meine blauen Augen kommen. Gehässige Kinderstimmen flüstern, dass das Saphirblau meine Mutter verrät. Dass diese ungewöhnliche Augenfarbe zeigt, dass mein Vater nicht mein Erzeuger sein kann. Vielleicht will er mich deshalb nie sehen. Ich schaue ihn die ebenmäßigen Züge meiner Mutter und bin mir sicher, dass sie meinen Vater nicht betrogen haben kann. Das hätte sie niemals getan. Nicht sie. Dennoch gibt es keine andere Erklärung für meine Augen und diese Tatsache zerschneidet mir das Herz.
    „Ja, warum?“, entgegne ich deshalb und sie versteht, was ich damit meine. Ihre zarten Finger streifen meine Wange und wischen eine Träne weg.
    „Irgendwann wirst du es verstehen, Kleines.“
    Ständig wiederholende Fragen. Immer die gleichen Antworten. Ich zweifle daran, dass sich ihre Worte irgendwann bewahrheiten werden, aber ich nicke stumm und setze ein hoffnungsvolleres Gesicht auf.
    „Nun komm.“
    Sie hält mir ihre Hand entgegen und ich ergreife sie. Im Grunde genommen hatte ich nie ein wirklich gutes Verhältnis zu ihr und so genieße ich diesen seltenen Moment der Vertrautheit. Es ist nicht so, dass sie sich keine Mühe gibt, mich glücklich zu machen. Aber ich spüre, dass da etwas tief in ihrem Inneren ist, was sie davon abhält, mich vollkommen als Tochter zu akzeptieren. Saphirblau.
    Vor der Außentür hat sie einen Weidenflechtkorb mit weiteren Glocken bereitgestellt, als hätte sie schon gewusst, was sie erwartet. Mit einem Lächeln drückt sie ihn mir in die Hand.
    „Beeil dich.“
    Ich nicke und versuche, einen dankbaren Gesichtsausdruck aufzusetzen. Als sie die glattpolierte, hölzerne Wendeltreppe hinabgestiegen ist, greife ich nach dem nächstbesten Ast und ziehe mich mit aller Kraft nach oben. Ich bin die Einzige in meinem Alter, die schon einen eigenen Baum besitzt. Gerüchten zufolge wollte mich mein Vater aus dem Wohnbereich haben, um nicht immer an den Verrat seiner Frau erinnert zu werden. Die offizielle Begründung ist, dass ich schon reif genug bin, um alleine zu leben.
    Meine Befürchtung ist, dass die hinter vorgehaltener Hand erzählten Geschichten der Wahrheit entsprechen.
    Sobald ich auf dem ersten Ast sitze greife ich in den Korb und hole ein Glöckchen aus Kristall hervor. Durch die klare Oberfläche sehe ich die Baumkronen verschwommen. Ich stelle das Geflecht aus Weidenzweigen auf meinen Schoß, nehme das zarte Band an dem die Glocke hängt und binde es zwischen zwei Knospen fest.
    Auch das ist Tradition. Der Klang soll die übrigen Blumen ermutigen, ihre Pracht zu zeigen. Mein Baum blühte noch nie. Er bildet Knospen aus, um Hoffnung in mir zu wecken, aber die zarten Blüten öffneten sich nicht, seit ich hier wohne.
    Ich ziehe einen Mundwinkel nach oben. Vielleicht spüren Pflanzen doch, was in uns vorgeht.
    Nachdem ich noch drei weitere Glocken festgebunden habe, schwinge ich mich höher hinauf und mache mich dort an die Arbeit. Auf dem Dorfplatz höre ich Lachen und Musik. Meine Finger knoten schneller, obwohl ich es nicht eilig habe, mich zu den Anderen zu gesellen. Genau genommen möchte ich gar nicht am Fest teilnehmen. Der einzige Grund, warum ich so schnell knote ist, dass ich die kindische Hoffnung hege, meinen Baum dadurch zum Blühen zu bringen.
    Letztes Jahr war ich einen Tag vor dem

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