Sara Linton 01 - Tote Augen
bekommen.«
Amanda grinste, steckte das iPhone in die Tasche und ging weiter. » Denkt an die Vorschriften, Kinder.«
Will wusste nicht, ob sie an die Vorschriften dachte, die ihr die Verantwortung übertrugen, oder an diejenigen, die sie ihnen eben in Bezug auf Joelyn Zabels Befragung genannt hatte. Er hatte jedoch keine Zeit, darüber nachzudenken, denn Amanda ging durchs Vorzimmer zu ihrem Büro und öffnete die Tür. Während sie zum Schreibtisch ging und sich setzte, stellte sie die Anwesenden einander vor. Ihr Büro war natürlich größer als jedes andere im Gebäude, eher so wie der Konferenzraum auf Wills und Faiths Etage.
Joelyn Zabel und ein Mann, der nur ihr Anwalt sein konnte, saßen auf den Besucherstühlen Amanda gegenüber. Neben Amandas Schreibtisch standen zwei Stühle, einer für Faith und einer für Will. Die Anwälte der Rechtsabteilung saßen auf einer Couch im hinteren Teil des Zimmers, drei nebeneinander, deren schwarze Anzüge und die Seidenkrawatten in gedämpften Farben ihre Funktion verrieten. Joelyn Zabels Anwalt trug einen Anzug in einem Blau wie die Haut eines Hais, was durchaus passend schien, denn sein Lächeln erinnerte Will an den Meeresräuber.
» Vielen Dank für Ihr Kommen«, sagte Faith, gab der Frau die Hand und setzte sich dann.
Joelyn Zabel sah aus wie eine pummeligere Version ihrer Schwester. Sie war zwar nicht dick, doch ihre Hüften hatten einen gesunden Schwung, wogegen Jacquelyn knabenhaft dünn gewesen war. Will roch Zigarettenrauch, als er ihr die Hand gab.
Er sagte: » Ihr Verlust tut mir sehr leid.«
» Trent«, bemerkte sie. » Sie sind derjenige, der sie gefunden hat.«
Will versuchte, Augenkontakt zu halten, ihr nicht zu vermitteln, wie schuldig er sich insgeheim noch immer fühlte, weil er sie nicht rechtzeitig gefunden hatte. Er konnte nichts anderes tun, als sich zu wiederholen. » Ihr Verlust tut mir sehr leid.«
» Ja«, blaffte sie, » das habe ich kapiert.«
Will setzte sich neben Faith, und Amanda klatschte in die Hände wie eine Kindergärtnerin, die die Aufmerksamkeit ihrer Schützlinge auf sich ziehen will. Sie legte die Hand auf eine Mappe, die, wie Will vermutete, eine kurze Zusammenfassung der Autopsieergebnisse enthielt. Pete hatte die Anweisung erhalten, die Informationen über die Mülltüten zu unterdrücken. Angesichts der entspannten Beziehung zwischen der Polizei des Rockdale County und der Presse hatten sie sowieso kaum » schuldiges Wissen«, mit dem sie einen zukünftigen Verdächtigen festnageln könnten.
Amanda begann: » Miss Zabel, ich nehme an, Sie hatten die Zeit, den Bericht durchzusehen?«
Der Anwalt ergriff das Wort. » Ich brauche eine Kopie davon für meine Akten, Mandy.«
Amanda zeigte ein noch größeres Haifischgrinsen als der Anwalt. » Natürlich, Chuck.«
» Klasse, man kennt sich also untereinander.« Joelyn verschränkte die Arme und zog die Schultern hoch. » Wollen Sie mir erklären, was, zum Teufel, Sie tun, um den Mörder meiner Schwester zu finden?«
Amandas Lächeln blieb unverändert. » Wir tun alles, was wir können, um …«
» Haben Sie schon einen Verdächtigen? Ich meine, Scheiße, dieser Kerl ist ein verdammtes Tier .«
Amanda antwortete nicht, was Faith als Signal für ihren Einsatz betrachtete. » Wir stimmen Ihnen da völlig zu. Wer das getan hat, ist ein Tier. Das ist der Grund, warum wir mit Ihnen über Ihre Schwester sprechen müssen. Wir müssen mehr über ihr Leben erfahren. Wer ihre Freunde waren. Was für Gewohnheiten sie hatte.«
Joelyn senkte für einen Augenblick schuldbewusst die Augen. » Ich hatte nicht viel Kontakt mit ihr. Wir waren beide ziemlich beschäftigt. Sie lebte in Florida.«
Faith versuchte ein wenig Zermürbungstaktik. » Sie lebte an der Bay, nicht? Muss schön dort unten sein. Ein guter Grund, im Urlaub mal einen Familienbesuch zu machen.«
» Na ja, schon, aber die blöde Kuh hat mich nie eingeladen.«
Ihr Anwalt streckte die Hand aus und berührte warnend ihren Arm. Will hatte Joelyn Zabel in jedem großen Sender gesehen, und für jeden neuen Reporter hatte sie aufs Neue wegen des tragischen Tods ihrer Schwester geweint. Er hatte keine einzige Träne aus ihren Augen kommen sehen, aber sie hatte alles getan, was man tut, wenn man weint – schluchzen, sich die Augen wischen, den Oberkörper vor und zurück bewegen. Jetzt tat sie nicht einmal das. Anscheinend brauchte sie laufende Kameras, um ihren Schmerz zu spüren. Noch offensichtlicher war, dass der
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