Sara Linton 01 - Tote Augen
drogenabhängig machte?«
» Romeo und Julia«, bestätigte Candy. » Das Arschloch hatte seine Ware bei mir abgeladen. Er meinte, ich würde deswegen nicht einfahren.«
Es musste eine mathematische Formel geben, mit der man präzise berechnen konnte, wie lange es dauerte, bis eine Frau, die von ihrem Freund drogensüchtig gemacht wurde, auf der Straße stand, um ihrer beider Konsum zu finanzieren. Faith stellte sich vor, dass es sich eher um Tage als um Wochen handelte.
Faith fragte: » Wie lange waren Sie im Knast?«
» Scheiße.« Sie lachte. » Ich habe das Arschloch und seinen Dealer drangehängt. Ich habe keinen einzigen Tag im Gefängnis verbracht.«
Auch das überraschte Faith nicht.
Die Frau sagte: » Mit dem harten Zeug habe ich schon vor langer Zeit aufgehört. Das Gras entspannt mich einfach.« Wieder schaute sie zu Will hinaus. Offensichtlich hatte er etwas an sich, das sie nervös machte.
Faith sprach sie direkt darauf an. » Was beunruhigt Sie so?«
» Er sieht nicht aus wie ein Polizist.«
» Wie sieht er denn aus?«
Sie schüttelte den Kopf. » Er erinnert mich an meinen ersten Freund, immer still und nett, aber aufgehen konnte der.« Sie schlug sich mit der Faust in die Handfläche. » Hat mich ziemlich verprügelt. Hat mir die Nase gebrochen. Und einmal sogar das Bein, weil ich nicht genug nach Hause brachte.« Sie rieb sich das Knie. » Wenn’s kalt ist, tut’s noch immer weh.«
Faith sah, wohin das führte. Es war nicht Candys Schuld, dass sie anschaffen gegangen war, um high zu werden, und höchstwahrscheinlich auch bei mehr als einer Alkoholkontrolle aufgefallen war. Der böse Freund war schuld oder der blöde Bulle, der nur nach seiner Quote schielte, und jetzt musste auch Will als der böse Junge herhalten.
Candy war gerissen genug, um zu merken, wann sie ihr Publikum verlor. » Ich lüge Sie nicht an.«
» Die schmutzigen Details aus Ihrer Vergangenheit sind mir ziemlich egal«, bemerkte Faith. » Sagen Sie mir, was Sie wirklich beunruhigt.«
Sie überlegte einige Augenblicke. » Ich kümmere mich jetzt um meine Tochter. Ich bin clean.«
» Ah«, sagte Faith.
Die Frau hatte Angst, dass man ihr das Kind wegnehmen würde.
Candy nickte in Wills Richtung. » Er erinnert mich an diese Mistkerle vom Staat.«
Will als Sozialarbeiter passte auf jeden Fall besser als Will als misshandelnder Freund. » Wie alt ist Ihre Tochter?«
» Sie ist fast vier. Ich glaubte nicht, dass ich es schaffen würde – die ganze Scheiße, die ich durchgemacht habe.« Candy lächelte, und ihr Gesicht veränderte sich: Was zuvor eine zornige Faust gewesen war, sah jetzt aus wie etwas, das man eine mäßig attraktive Pflaume nennen könnte. » Hannah ist ein kleiner Schatz, sie mochte Jackie sehr, wollte so sein wie sie mit ihrem schönen Auto und den tollen Klamotten.«
Für Faith hatte es nicht so geklungen, als wäre Jackie eine Frau, die sich von einer Dreijährigen ihre Jimmy Choos hätte begrapschen lassen, vor allem nicht, da Kinder in diesem Alter gern klebrige Finger hatten. » Mochte Jackie sie?«
Candy zuckte die Achseln. » Wer mag Kinder nicht?« Nun endlich stellte sie die Frage, die ein weniger egozentrischer Mensch schon vor zehn Minuten gestellt hätte. » Und, was ist passiert? War sie betrunken?«
» Sie wurde ermordet.«
Candy öffnete den Mund, schloss ihn wieder. » Umgebracht?«
Faith nickte.
» Wer würde denn so was tun? Wer würde ihr wehtun wollen?«
Faith hatte dergleichen oft genug erlebt, um zu wissen, wohin das führte. Es war der Grund, warum sie die Informationen über Jacquelyn Zabels Tod zurückgehalten hatte. Niemand wollte über Tote etwas Schlechtes sagen, nicht einmal eine durchgeknallte Möchtegern-Hippietussi mit einer Aversion gegen Polizisten.
» Sie war nicht schlecht«, sagte Candy. » Ich meine, tief drinnen war sie gut.«
» Da bin ich mir sicher«, stimmte Faith ihr zu, obwohl wahrscheinlich eher das Gegenteil zutraf.
Candys Unterlippe zitterte. » Wie soll ich denn Hannah sagen, dass sie tot ist?«
Faiths Handy klingelte, was recht gut passte, denn sie hatte auf diese Frage keine Antwort. Schlimmer noch, in gewisser Weise war es ihr auch ziemlich egal, weil sie aus der Frau alle Informationen herausgeholt hatte, die sie brauchte. Candy Smith war kaum die Erste auf der Liste grässlicher Eltern, aber sie war auch nicht gerade ein herausragendes menschliches Wesen, und da draußen war ein dreijähriges Kind, das es wahrscheinlich ausbaden
Weitere Kostenlose Bücher