Sara Linton 01 - Tote Augen
streckte die Hand aus, um eine Kamera zu blockieren, und schob mit dem Ellbogen einen Fotografen mit dem Logo des Atlanta Journal hinten auf der Jacke beiseite.
» Faith? Faith?«
Sie drehte sich um, entdeckte einen Reporter und schüttelte den Kopf, ohne stehen zu bleiben.
» Na komm, Babe!«, rief der Mann. Will dachte sich, dass er mit seinem struppigen Bart und dem zerknitterten Anzug exakt so aussah wie die Art Mann, die damit durchkam, eine Frau » Babe« zu nennen.
Faith wandte sich ab, schüttelte aber weiter den Kopf, während sie zum Eingang ging.
Will wartete, bis sie im Gebäude waren und die Metalldetektorschleuse passiert hatten, und fragte erst dann: » Kennen Sie den Kerl?«
» Sam arbeitet für den Atlanta Beacon. Er ist mal mit mir mitgefahren, als ich noch Streifendienst schob.«
Will dachte selten über Faiths Leben nach, über die Tatsache, dass sie eine Uniform getragen und einen Streifenwagen gefahren hatte, bevor sie Detective geworden war.
Faith ließ ein Lachen hören, das Will nicht ganz verstand. » Wir waren ein paar Jahre lang ziemlich dicke.«
» Was ist passiert?«
» Ihm gefiel nicht, dass ich einen Jungen hatte. Und mir gefiel nicht, dass er Alkoholiker war.«
» Na ja …« Will suchte nach Worten. » Scheint doch ganz in Ordnung zu sein.«
» So wirkt er, ja«, antwortete sie.
Will sah zu, wie die Reporter auf der verzweifelten Suche nach einem Schnappschuss ihre Kameras ans Glas drückten. Das Grady Hospital war öffentliches Gelände, aber die Presse brauchte eine Genehmigung, um drinnen filmen zu dürfen, und irgendwann einmal hatte jeder Einzelne von ihnen gelernt, dass das Sicherheitspersonal keine Bedenken hatte, sie an den Ohren ins Freie zu zerren, wenn sie anfingen, Patienten oder – noch schlimmer – das Personal zu belästigen.
» Will«, sagte Faith, und er merkte ihrer Stimme an, dass sie lieber wieder über die Liste an dem Kühlschrank und Wills eklatante Legasthenie reden wollte.
Er sagte etwas, von dem er wusste, dass es sie davon ablenken würde. » Warum hat Dr. Linton Ihnen eigentlich das alles erzählt?«
» Was alles?«
» Über ihren Ehemann und dass sie unten im Süden Coroner war.«
» Die Leute erzählen mir eben so manches.«
Das stimmte allerdings. Faith hatte die typische Polizistengabe, still zu sein, damit andere redeten, um das Schweigen zu überbrücken. » Was hat sie Ihnen sonst noch gesagt?«
Sie grinste wie eine Katze. » Warum? Soll ich ihr eine Nachricht in ihren Spind legen?«
Will kam sich wieder mal blöd vor, aber diese Art von Blödsein war viel schlimmer.
Faith fragte: » Wie geht’s Angie?«
Er gab sofort zurück: » Wie geht’s Victor?«
Und dann schwiegen sie auf dem Rest des Wegs durch die Eingangshalle.
» Hey, hey!« Mit ausgestreckten Armen ging Leo auf Faith zu. » Schau sich einer das große GBI -Mädchen an!« Er nahm sie in die Arme, was Faith überraschenderweise sogar erlaubte. » Du siehst gut aus, Faith. Echt gut.«
Sie winkte ab mit einem skeptischen Auflachen, das man als mädchenhaft hätte bezeichnen können, wenn Will es nicht besser gewusst hätte.
» Gut, dich zu sehen, Mann«, sagte Leo und streckte die Hand aus.
Will versuchte, nicht die Nase zu rümpfen über den Zigarettengestank, den der Detective verströmte. Leo Donnelly war von durchschnittlicher Größe und durchschnittlicher Statur und leider ein deutlich unterdurchschnittlicher Polizist. Er konnte gut Befehle befolgen, aber selbstständiges Denken war etwas, das dieser Mann einfach nicht tun wollte. Das war zwar kaum überraschend bei einem Detective des Morddezernats, der in den Achtzigern eingestiegen war, aber Leo repräsentierte genau den Typ Polizisten, den Will hasste: schlampig, arrogant und immer bereit, die Hände zu benutzen, wenn man einem Verdächtigen auf die Sprünge helfen musste.
Will bemühte sich um Höflichkeit. Er gab dem Mann die Hand und fragte: » Wie geht’s, Leo?«
» Kann nicht klagen«, erwiderte Leo, doch als sie dann zur Notaufnahme gingen, tat er genau das. » Ich habe jetzt noch zwei Jahre bis zur vollen Rente, aber sie wollen mich abschieben. Ich glaube, es ist das Medizinische – ihr wisst doch, dass ich Probleme mit der Prostata hatte.« Keiner von beiden reagierte, aber das hielt Leo nicht vom Weiterreden ab. » Diese beschissene städtische Versicherung weigert sich, meine Medikamente zu bezahlen. Ich sag’s euch, werdet bloß nicht krank, denn dann lassen die euch bluten, bis ihr
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