Sara Linton 01 - Tote Augen
schaute Tom wieder mit offensichtlichem Stolz an. » Und Sie waren am Tag dieses Unfalls bei Tom und seiner Familie zu Besuch?«
Judith nickte. » Er wollte zu unserem vierzigsten Hochzeitstag etwas Hübsches machen. Nicht, Tom?« Ihre Stimme bekam nun eine gewisse Distanziertheit. » Dass so etwas Schreckliches passiert. Ich glaube, wir werden keinen Hochzeitstag mehr feiern können, ohne daran zu denken …«
Nun meldete sich Tom. » Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte. Wie konnte diese Frau …« Er schüttelte den Kopf. » Es ist so sinnlos. Wer, zum Teufel, würde so etwas tun?«
» Tom«, ermahnte ihn Judith. » Deine Sprache.«
Faith warf Will einen Blick zu, der andeutete, dass sie ihre gesamte Willenskraft aufbieten musste, um nicht die Augen zu verdrehen. Doch sie hatte sich schnell wieder unter Kontrolle und richtete ihre Worte nun an das ältere Paar. » Ich weiß, dass Sie Detective Galloway bereits alles gesagt haben, aber lassen Sie uns noch einmal ganz von vorn anfangen. Sie fuhren die Straße entlang, Sie sahen die Frau, und dann …«
» Na ja«, setzte Judith an. » Zuerst dachte ich, es ist vielleicht ein Reh. Am Straßenrand haben wir schon oft Rehe gesehen. Wenn’s dunkel ist, fährt Henry immer langsam, für den Fall, dass eins auf die Straße springt.«
» Sie sehen die Lichter und erstarren einfach«, erklärte Henry, als wäre ein bewegungsloses Reh im Scheinwerferlicht ein obskures Phänomen.
» Es war nicht dunkel«, fuhr Judith fort. » Ich glaube, es dämmerte. Und ich sah dieses Ding auf der Straße. Ich öffnete den Mund, um es Henry zu sagen, aber es war schon zu spät. Wir hatten es bereits getroffen. Sie. « Sie zog ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und drückte es sich auf die Augen. » Diese netten Männer versuchten, ihr zu helfen, aber ich glaube nicht – also nach all dem …«
Henry nahm wieder die Hand seiner Frau. » Hat sie … ist die Frau …?«
» Sie ist noch im Krankenhaus«, erwiderte Faith. » Sie sind sich nicht sicher, ob sie je das Bewusstsein wiedererlangen wird.«
» O Gott«, hauchte Judith, fast ein Gebet. » Ich hoffe, sie tut es nicht.«
» Mutter …« Tom hob vor Überraschung die Stimme.
» Ich weiß, das klingt gemein, aber ich hoffe, sie erfährt es nie.«
Die Familie verstummte. Henrys Adamsapfel hüpfte, und Will sah, dass den Mann allmählich seine Erinnerungen überwältigten. » Ich dachte, ich kriege einen Herzinfarkt«, sagte er schließlich rau auflachend.
Judith senkte ihre Stimme und sagte in vertraulichem Tonfall, als würde ihr Mann nicht direkt neben ihr sitzen: » Henry hat Herzprobleme.«
» Nichts Schlimmes«, erwiderte er. » Der blöde Airbag hat mich mitten in die Brust getroffen. Sicherheitsvorrichtung heißt das verdammte Ding. Hätte mich beinahe umgebracht.«
Faith fragte: » Mr Coldfield, haben Sie die Frau auf der Straße gesehen?«
Henry nickte. » Es war genau so, wie Judith gesagt hat. Zum Anhalten war es zu spät. Ich bin nicht zu schnell gefahren. Habe mich genau an die Geschwindigkeitsbegrenzung gehalten. Ich habe etwas gesehen – dachte, es ist ein Reh, wie sie gesagt hat. Trat voll auf die Bremse. Dachte noch immer nicht, dass es eine Frau ist, bis ich ausstieg und sie dort liegen sah. Furchtbar. Einfach furchtbar.«
» Tragen Sie schon immer eine Brille?« Will brachte das Thema behutsam zur Sprache.
» Ich bin Amateurpilot. Lasse mir zweimal pro Jahr die Augen untersuchen.« Er nahm die Brille ab und wirkte zwar leicht pikiert, sprach aber mit neutraler Stimme weiter. » Ich mag zwar alt sein, aber ich bin flugtüchtig. Kein grauer Star, korrigiert auf zwanzig-zwanzig.«
Will beschloss, den ganzen Themenkomplex hinter sich zu bringen. » Und Ihr Herz?«
Judith mischte sich ein. » Ist eigentlich nichts. Man muss es nur im Auge behalten und darauf achten, dass er sich nicht zu sehr anstrengt.«
Noch immer leicht entrüstet, übernahm jetzt wieder Henry. » Nichts, was die Ärzte beschäftigen muss. Ich nehme ein paar Tabletten. Hebe nichts Schweres. Mir geht’s gut.«
Faith versuchte, ihn zu besänftigen, indem sie das Thema wechselte. » Ein Army-Sprössling, der in die Luft geht?«
Henry schien zu überlegen, ob er das Thema seiner Gesundheit noch weiterverfolgen sollte. » Mein Dad ließ mich Stunden nehmen, als ich noch ein Junge war. Wir waren in Nowhere, Alaska, stationiert. Er hielt es für einen guten Weg, mich von Schwierigkeiten fernzuhalten.«
Faith lächelte, was ihm
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