Sara Linton 01 - Tote Augen
Sonne sie nicht erreichte. Wills Magen knurrte, und er erinnerte sich daran, wie er im Heim Konservendosen sortiert hatte, die während der Ferien hereingekommen waren. Kein Mensch spendete je die guten Sachen. Meistens waren es Frühstücksfleisch und eingelegte Rote Bete, genau die Sachen, die jedes Kind sich als Weihnachtsessen wohl wünschte.
Faith hatte noch ein Schild gefunden: » Alle Spenden sind von der Steuer absetzbar. Die Erlöse fließen direkt in die Hilfe für obdachlose Frauen und Kinder. Gott stehe jenen bei, die anderen beistehen.«
Er merkte, dass ihm der Kiefer schmerzte, weil er die Zähne so fest zusammenbiss. Zum Glück musste er sich nicht lange mit dem Schmerz beschäftigen. Ein Mann schnellte hinter der Theke in die Höhe wie Mr Drucker aus Green Acres. » Hallo, Leute.«
Faith presste sich die Hand auf die Brust. » Wer, zum Teufel, sind denn Sie?«
Der Mann errötete so heftig, dass Will die Hitze, die sein Gesicht verströmte, beinahe spüren konnte. » Es tut mir leid, Ma’am.« Er wischte sich die Hand an seinem T-Shirt ab. Schwarze Fingerspuren zeigten, dass er das schon ziemlich oft gemacht hatte. » Tom Coldfield. Ich helfe meiner Mom bei …« Er deutete auf den Boden hinter der Theke. Will sah, dass er an einem Rasenmäher arbeitete. Der Motor war teilweise zerlegt. Es sah aus, als wollte er einen neuen Keilriemen einsetzen, doch das erklärte nicht, warum der Vergaser auf dem Boden lag.
Will sagte: » Da liegt eine Mutter auf dem …«
Faith unterbrach ihn: » Ich bin Special Agent Faith Mitchell. Das ist mein Partner Will Trent. Wir sind hier, um mit Judith und Henry Coldfield zu sprechen. Ich nehme an, Sie sind verwandt?«
» Meine Eltern«, erklärte der Mann und grinste Faith mit deutlich vorstehenden Zähnen an. » Sie sind hinten. Dad ist ziemlich unglücklich, weil er sein Golfspiel verpasst.« Er schien zu erkennen, wie bedeutungslos das auf sie wirken musste. » Tut mir leid, ich weiß, es ist schrecklich, was mit dieser Frau passiert ist. Es ist nur so – na ja –, sie haben ja diesem anderen Detective schon alles erzählt, was passiert ist.«
Faith zeigte weiter ihre freundliche Seite. » Ich bin mir sicher, sie haben nichts dagegen, es uns noch einmal zu erzählen.«
Tom Coldfield schien nicht ihrer Meinung zu sein, lud sie aber trotzdem ins Hinterzimmer ein. Will ließ Faith vorausgehen, und alle mussten sich zwischen Kisten und Stapeln mit Waren, die dem Heim gespendet worden waren, hindurchschlängeln. Will vermutete, dass Tom Coldfield früher einmal sportlich gewesen war, doch seine Dreißiger hatten ihm das ausgetrieben, hatten seine Mitte rund und seine Schultern schlaff werden lassen. Oben auf dem Kopf hatte er eine kahle Stelle, fast wie eine Tonsur, wie Franziskanermönche sie trugen. Ohne ihn fragen zu müssen, nahm Will an, dass Tom Coldfield ein paar Kinder hatte. Er sah aus wie ein typischer Familienvater. Wahrscheinlich fuhr er einen Minivan und spielte online Fantasie-Football.
Tom sagte: » Tut mir leid wegen der Unordnung. Wir haben zu wenig Freiwillige.«
Faith fragte: » Arbeiten Sie hier?«
» O nein, ich würde verrückt werden, wenn ich es täte.« Er kicherte über Faiths Überraschung. » Ich bin Fluglotse. Wenn sie nicht genug Leute haben, setzt meine Mom mir so lange zu, bis ich aushelfe.«
» Waren Sie beim Militär?«
» Air Force – sechs Jahre. Wie sind Sie darauf gekommen?«
Faith zuckte die Achseln. » Die einfachste Art, an eine Ausbildung zu kommen.« Dann fügte sie hinzu, wahrscheinlich, um eine Verbindung zu dem Mann herzustellen: » Mein Bruder ist in der Air Force, stationiert in Deutschland.«
Tom schob eine Kiste aus dem Weg. » Ramstein?«
» Landshut. Er ist Chirurg.«
» Ist ziemlich schlimm dort. Ihr Bruder tut das Werk des Herrn.«
Faith war jetzt ganz Polizistin, ihre persönliche Meinung behielt sie für sich. » Auf jeden Fall.«
Tom blieb vor einer geschlossenen Tür stehen und klopfte. Will schaute den Gang hinunter zum anderen Ende des Heims, zu der Theke, vor der sie gestanden und darauf gewartet hatten, dass die Frau aus der Toilette kam. Faith schaute Will kurz an und verdrehte die Augen, als Tom die Tür öffnete.
» Mom, das ist Detective Trent und – tut mir leid, war es Mitchell?«
» Ja«, bestätigte Faith.
Tom stellte seine Eltern vor, obwohl das eine reine Formalität war, da in dem Raum nur zwei Personen waren. Judith saß hinter einem Schreibtisch, vor ihr lag aufgeschlagen
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