Sara Linton 01 - Tote Augen
erschöpft, dass sie Sterne vor den Augen sah. Sie wollte nur noch ein heißes Bad und ein Glas Wein, doch beides war in ihrem Zustand nicht empfehlenswert. Sie wollte nicht alles noch schlimmer machen, indem sie ihren Sohn anschrie.
Ihr Laptop stand auf dem Tisch, aber sie rief nicht einmal ihre E-Mails auf. Amanda hatte ihr gesagt, sie solle sich nach Dienstschluss bei ihr melden, um über ihren Ohnmachtsanfall auf dem Parkplatz vor dem Gerichtsgebäude zu sprechen. Faith schaute auf die Uhr über dem Küchenherd. Es war deutlich nach Dienstschluss, fast zehn Uhr. Amanda war vermutlich schon zu Hause und saugte den Insekten, die sich in ihrem Netz verfangen hatten, das Blut aus.
Faith fragte sich, ob der Tag noch schlimmer werden konnte, und kam zu dem Schluss, dass das in Anbetracht der Uhrzeit eine mathematische Unmöglichkeit war. Die letzten fünf Stunden hatte sie mit Will damit zugebracht, unzählige Male in ihr Auto und aus dem Auto zu steigen, auf Türklingeln zu drücken und mit all denen zu reden, die die Türen öffneten – falls sie überhaupt geöffnet wurden –, immer auf der Suche nach Jake Berman. Insgesamt gab es im gesamten großstädtischen Gebiet dreiundzwanzig Jake Bermans. Faith und Will hatten mit sechs von ihnen gesprochen, zwölf ausgeschlossen und die restlichen fünf nicht finden können, weil sie nicht zu Hause oder bei der Arbeit waren oder nicht an die Tür gingen.
Wenn es einfacher gewesen wäre, den Mann zu finden, hätte Faith sich nicht so viele Gedanken über ihn machen müssen. Zeugen belogen die Polizei die ganze Zeit. Sie nannten falsche Namen, falsche Telefonnummern, falsche Details. Das kam so häufig vor, dass Faith sich kaum ärgerte, wenn es passierte. Doch Jake Berman war eine andere Geschichte. Jeder Mensch hinterließ eine Datenspur. Man konnte sich alte Telefonunterlagen oder frühere Adressen besorgen, und ziemlich schnell schaute man dem Zeugen ins Gesicht und tat so, als hätte man nicht einen halben Tag vergeudet, um ihn zu finden.
Von Jake Berman gab es keine Datenspur. Im letzten Jahr hatte er nicht einmal eine Steuererklärung abgegeben. Zumindest nicht unter dem Namen Jake Berman – was gleich wieder das Gespenst von Pauline McGhees Bruder auf den Plan rief. Vielleicht hatte Jake Berman seinen Namen ebenso geändert wie Pauline Seward. Vielleicht hatte Faith noch in der Nacht, als alles anfing, dem Mörder in der Cafeteria des Grady Hospital gegenübergesessen.
Vielleicht war Jake Berman nur ein Steuerflüchtling, der nie Kreditkarten oder Handys benutzte, und Pauline McGhee hatte ihr altes Leben hinter sich gelassen, weil das Frauen eben manchmal machten – sie gingen einfach weg.
Allmählich begriff Faith, dass diese Möglichkeit auch ihre Vorzüge hatte.
Zwischendurch hatte Will Beulah, Edna und Wallace O’Connor in Tennessee angerufen. Max hatte nicht gelogen, was den betagten Vater anging. Der Mann war in einem Pflegeheim, und aus Wills Teil der Unterhaltung schloss Faith, dass sein Verstand nicht mehr der klarste war. Die Schwestern waren gesprächig und gaben sich offensichtlich Mühe zu helfen, aber sie hatten einfach keine weiteren Details über die weiße Limousine zu bieten, die sie nur wenige Meilen vom Unfallort entfernt über die Straße hatten rasen sehen, außer dem Hinweis, das Auto hätte Schlamm auf der Stoßstange gehabt.
Die Suche nach Rick Sigler, Jake Bermans heimliches Objekt der Begierde auf der Fahrt über die Route 316, war nur minimal produktiver gewesen. Faith hatte ihn angerufen, und der Mann hatte geklungen, als würde er gleich einen Herzinfarkt bekommen, kaum dass sie sich identifiziert hatte. Rick war in seinem Krankenwagen und brachte einen Patienten ins Krankenhaus, und danach standen noch zwei weitere Fahrten auf seinem Dienstplan. Faith und Will wollten ihn am nächsten Morgen um acht Uhr nach Ende seiner Schicht treffen.
Faith starrte ihren Laptop an. Sie wusste, sie sollte einen Bericht über das alles schreiben, damit Amanda die Informationen hatte, auch wenn ihre Chefin offensichtlich in der Lage war, Dinge selbst herauszufinden. Dennoch machte Faith sich an die Arbeit. Sie zog den Computer zu sich, öffnete ihn und drückte auf die Leertaste.
Doch anstatt in ihr E-Mail-Programm zu gehen, startete sie ihren Browser. Faiths Finger zögerten kurz über den Tasten, doch dann bewegten sie sich wie von selbst: SARA LINTON GRANT COUNTY GEORGIA .
Firefox lieferte fast dreitausend Treffer. Faith klickte den
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