Sara Linton 01 - Tote Augen
ersten Link an, und der brachte sie zu einer Seite über pädiatrische Medizin, auf der man ein Passwort brauchte, um Zugang zu Saras Aufsatz über Ventrikelseptumdefekte bei unterernährten Kleinkindern zu erhalten. Der zweite Link führte zu etwas ähnlich Fesselndem, und Faith blätterte zum Ende der Trefferliste, wo sie einen Artikel über eine Schießerei in einer Bar in Buckhead fand, deren Opfer Sara als Diensthabende im Grady behandelt hatte.
Faith merkte, dass sie die Sache falsch anging. Eine allgemeine Suche war ganz okay, aber auch die Zeitungsartikel erzählten meistens nur die halbe Geschichte. Kam ein Polizeibeamter gewaltsam zu Tode, wurde immer das GBI gerufen. Über die interne Datenbank der Agentur erhielt Faith Zugang zu den tatsächlichen Fallakten. Sie öffnete das Programm und startete eine allgemeine Suche. Wieder tauchte Saras Name unzählige Male auf, in jedem Fall, bei dem sie in ihrer Funktion als Coroner vor Gericht ausgesagt hatte. Faith engte die Suche ein, indem sie Expertengutachten ausschloss.
Nun kamen nur noch zwei Treffer. Der Erste war ein Fall sexueller Nötigung, der mehr als zwanzig Jahre alt war. Wie bei den meisten Browsern gab es auch hier eine kurze Beschreibung unterhalb des Links; wenige Textzeilen gaben einem eine ungefähre Vorstellung davon, worum es in dem Fall ging. Faith überflog die Kurzbeschreibung, bewegte die Maus, ohne zu klicken. Wills Worte kamen ihr wieder in den Sinn, sein tapferes Eintreten für Sara Lintons Privatsphäre.
Vielleicht hatte er doch nicht ganz unrecht.
Faith klickte den zweiten Link an und öffnete damit die Falldatei zu Jeffrey Tolliver. Hier ging es um einen Mord an einem Polizisten. Die Berichte waren umfangreich und detailliert, Texte, wie man sie eben schrieb, wenn man ganz sichergehen wollte, dass jedes Wort in einem Kreuzverhör vor Gericht Bestand hatte. Faith erfuhr etwas über den Hintergrund des Mannes, seine Jahre im Dienst der Justiz. Es gab Hyperlinks zu Fällen, die er bearbeitet hatte, einige kannte sie aus den Medien, andere aus Gesprächen zwischen Kollegen im Bereitschaftssaal.
Sie blätterte durch Seite um Seite, las über Tollivers Leben und schloss aus der respektvollen Art, mit der die Leute ihn beschrieben, auf seinen Charakter. Faith hörte erst auf, als sie zu den Tatortfotos kam. Tolliver war von einer primitiven Rohrbombe getötet worden. Sara hatte direkt daneben gestanden, hatte alles mitbekommen, hatte ihn sterben sehen. Faith musste sich überwinden, um die Autopsieberichte zu öffnen. Die Fotos waren schockierend, die Verstümmelungen entsetzlich. Irgendwie waren da Fotos vom Tatort mit hineingeraten: Sara mit ausgestreckten Händen, damit die Kamera das Muster der Blutspritzer dokumentieren konnte. Saras Gesicht in Großaufnahme, der Mund verschmiert mit dunklem Blut, die Augen so leer und leblos wie die ihres Gatten auf den Fotos aus der Leichenhalle.
In allen Akten war der Fall als noch offen gekennzeichnet. Nirgendwo wurde eine Lösung erwähnt. Keine Verhaftung. Keine Verurteilung. Merkwürdig bei einem Polizistenmord. Was hatte Amanda über das Coastal gesagt?
Faith öffnete ein neues Browserfenster. Das GBI war verantwortlich für die Ermittlungen in allen Todesfällen, die sich in staatlichem Eigentum ereigneten. Sie startete eine Suche nach Todesfällen im Coastal State Prison in den letzten vier Jahren. Es waren insgesamt sechzehn. Drei waren Morde – ein weißer Rassist, der im Aufenthaltsraum zu Tode geprügelt worden war, und zwei Afroamerikaner, auf die man mit dem angespitzten Ende einer Plastikzahnbürste insgesamt fast zweihundertmal eingestochen hatte. Faith überflog die anderen dreizehn Fälle: acht Selbstmorde, fünf natürliche Ursachen. Sie dachte an Amandas Bemerkung zu Sara Linton: Wir kümmern uns um unsere Leute.
Gefängniswächter nannten es » einen Insassen zu Jesus begnadigen«. Der Tod würde leise, unspektakulär und völlig glaubwürdig sein müssen. Ein Polizist wusste natürlich, wie er seine Spuren verwischte. Faith vermutete, dass einer der Überdosen oder Selbstmorde Tollivers Mörder war – ein trauriger, erbärmlicher Tod, aber dennoch Gerechtigkeit. Sie spürte eine Leichtigkeit in der Brust, Erleichterung darüber, dass der Mann bestraft, dass der Witwe eines Polizisten ein langwieriges Verfahren erspart worden war.
Faith schloss die Akten, klickte jede einzeln weg und startete dann noch einmal Firefox. Sie gab Jeffrey Tollivers Namen hinter Sara Lintons
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