Sara
Schalthebeln übersät. An der linken Seite der Maschine war eine grüne Sauerstoffflasche festgezurrt, rund einen Meter zwanzig lang. Ein Schlauch führte zu einer Ziehharmonikaröhre aus durchsichtigem Plastik; die Ziehharmonikaröhre führte zu einer Maske, die auf Devores Schoß lag. Sie weckte Erinnerungen an die Stenomaske des alten Mannes in mir. Direkt im Anschluß an das, was ich gerade erlebt hatte, hätte ich dieses Vehikel, das der Fantasie eines Tom Clancy entsprungen schien, als Halluzination betrachtet, wäre da nicht der Aufkleber auf dem Gehäuse gewesen, gleich unter der Schüssel. ICH BLUTE DOD-GER-BLAU, stand darauf.
Heute abend trug die Frau, die ich vor der Sunset Bar von Warrington’s gesehen hatte, eine weiße Bluse mit langen Ärmeln und schwarze, sich nach unten verjüngende Hosen, daß ihre Beine wie Schwerter in der Scheide wirkten. Ihr schmales Gesicht und die hohlen Wangen ließen die Ähnlichkeit mit Edvard Munchs Schreiendem deutlicher denn je hervortreten.
Das weiße Haar hing ihr wie eine glatte Haube am Gesicht herunter. Die Lippen hatte sie so grellrot bemalt, daß es aussah, als blutete sie aus dem Mund.
Sie war ebenso alt wie häßlich, aber im Vergleich zu Matties Schwiegervater eine Schönheit. Der spindeldürre Mann mit den blauen Lippen und der dunklen purpurfarbenen Haut um Augen und Mundwinkel herum sah aus wie etwas, das ein Archäologe in der Grabkammer einer Pyramide finden mochte, umgeben von ausgestopften Ehefrauen und Haustieren und mit seinen Lieblingsjuwelen aufgeputzt. Ein paar weiße Haarflusen klebten noch an seinem schuppigen Schädel; weitere Flusen wuchsen aus den großen Ohren, die wie Wachsskulpturen in der Sonne geschmolzen zu sein schienen. Er trug weiße Baumwollhosen und ein bauschiges blaues Hemd. Mit einem schwarzen Barett hätte er wie ein französischer Künstler des neunzehnten Jahrhunderts am Ende eines langen Lebens ausgesehen.
Auf dem Schoß hatte er einen Stock aus einem schwarzen Holz liegen. Ein hellroter Fahrradgriff war über das Ende gestülpt worden. Die Finger, die ihn umklammert hielten, machten einen kräftigen Eindruck, wurden aber so schwarz wie der Stock selbst. Sein Blutkreislauf brach zusammen, und ich konnte mir nicht vorstellen, wie seine Füße und Schienbeine aussehen mußten.
»Die Hure ist abgehauen und hat Sie sitzenlassen, was?«
Ich versuchte etwas zu sagen. Ein Krächzen kam aus meinem Mund, mehr nicht. Ich hielt mich immer noch an der Birke fest. Ich ließ sie los und wollte mich aufrichten, aber meine Beine waren immer noch schwach, und ich mußte mich wieder abstützen.
Er stieß einen silbernen Kippschalter an, worauf der Rollstuhl drei Meter näher kam und damit die Entfernung zwischen uns halbierte. Das Geräusch, das der Rollstuhl von sich gab, war ein seidiges Flüstern; es war, als würde man einen bösen fliegenden Teppich vor sich sehen. Die zahlreichen Räder hoben und senkten sich unabhängig voneinander und funkelten in der untergehenden Sonne, die einen rötlichen Farbton angenommen hatte. Und als er näher kam, spürte ich
die Aura des Mannes. Sein Körper faulte unter ihm weg, aber die Kraft, die ihn umgab, war unbestreitbar und beängstigend, wie ein Gewitter. Die Frau hielt mit ihm Schritt und betrachtete mich stumm amüsiert. Ihre Augen waren rosa. Ich vermutete damals, daß sie grau waren und der beginnende Sonnenuntergang sich darin spiegelte, aber jetzt glaube ich, daß sie ein Albino war.
»Ich habe Huren immer gern gehabt«, sagte er. Er dehnte das Wort, es hörte sich an wie Huuurrren . »Oder nicht, Rogette?«
»Ja, Sir«, sagte sie. »An ihrem Platz.«
»Manchmal war ihr Platz auf meinem Gesicht!« schrie er mit einer irren Keckheit, als hätte sie ihm widersprochen. »Wo ist sie, junger Mann? Ich frage mich, auf wessen Gesicht sie gerade sitzt? Auf dem dieses gerissenen Anwalts, den Sie gefunden haben? Oh, ich weiß alles über ihn, bis hin zum Mangelhaft in Betragen, das er in der dritten Klasse bekommen hat. Ich mache es zu meiner Sache, alles zu wissen. Es ist das Geheimnis meines Erfolgs.«
Ich richtete mich unter enormer Anstrengung auf. »Was machen Sie hier?«
»Einen Spaziergang, genau wie Sie. Und dagegen gibt es kein Gesetz, oder? Die Straße gehört jedem, der sie benutzen will. Sie sind noch nicht lange hier, junger Hurenbock, aber gewiß lange genug, das zu wissen. Es ist unsere Version des Gemeindeparks, wo gute Schoßhündchen und böse Köter nebeneinander laufen
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