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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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gerahmte Foto über dem Computer - Sara Lacht, unser Haus am Dark Score Lake. Ich war seit Äonen nicht mehr dort gewesen und fragte mich einen Moment lang schuldbewußt nach dem Grund.
    Dann ertönte Harolds Stimme wieder in meinem Ohr - vorsichtig, tröstlich, die Stimme eines vernünftigen Mannes, der versucht, einem Irren eine hoffentlich nur vorübergehende Halluzination auszureden. »Das dürfte keine so gute Idee sein, Mike - nicht in diesem Stadium deiner Karriere.«
    »Das ist kein Stadium«, sagte ich. »Ich hatte meinen Höhepunkt 1991 - seither sind meine Verkaufszahlen nicht rauf oder runter gegangen. Das ist ein Plateau , Harold.«
    »Ja«, sagte er, »und Schriftsteller, die dieses kontinuierliche Stadium erreicht haben, haben eigentlich nur zwei Möglichkeiten, was Verkaufszahlen anbelangt - sie können weitermachen wie gehabt, oder es geht abwärts mit ihnen.«
    Dann geht es eben abwärts mit mir , wollte ich sagen … sagte es aber nicht. Harold sollte nicht wissen, wie tief das alles ging, wie unsicher der Boden unter meinen Füßen war. Er sollte nicht erfahren, daß ich inzwischen jedesmal, wenn ich das Word-sechs-Programm meines Computers aufrief und den leeren Bildschirm und blinkenden Cursor sah, Herzflimmern hatte - ja, ich meine das im wahrsten Sinne des Wortes.
    »Ja«, sagte ich. »Okay. Nachricht empfangen.«
    »Sicher, daß alles in Ordnung ist?«
    »Liest sich das Buch, als würde etwas nicht mit mir stimmen, Harold?«
    »Nein, verdammt - eine tolle Geschichte. Deine persönliche Bestleistung, das sagte ich schon. Großartige Lektüre, aber gleichzeitig verdammt anspruchsvoll . Wenn Saul Bellow romantische
Thriller schreiben würde, würde er so schreiben. Aber … du hast doch keine Probleme mit dem nächsten, oder? Ich weiß, du vermißt Jo noch, zum Teufel, wir alle tun das -«
    »Nein«, sagte ich. »Überhaupt keine Probleme.«
    Wieder folgte ein langes Schweigen. Ich stand es durch. Schließlich sagte Harold: »Grisham könnte es sich leisten, ein Jahr Pause zu machen. Clancy könnte es. Für Thomas Harris gehört das lange Schweigen mit zu seinem Geheimnis. Aber da, wo du bist, ist das Leben noch härter als an der Spitze, Mike. Es gibt fünf Schriftsteller für jeden dieser Plätze auf der Liste, und du weißt, wer sie sind - verdammt, sie sind drei Monate im Jahr deine Nachbarn. Manche steigen auf, wie Patricia Cornwell mit ihren beiden letzten Büchern, manche steigen ab, und manche halten sich konstant, so wie du. Wenn Tom Clancy fünf Jahre Pause machen und dann Jack Ryan zurückbringen würde, wäre es eine triumphale Rückkehr. Wenn du fünf Jahre Pause machst, gibt es vielleicht gar kein Comeback für dich. Mein Rat ist -«
    »Schmiede das Eisen, solange es heiß ist.«
    »Du nimmst mir die Worte aus dem Mund.«
    Wir unterhielten uns noch eine Weile und verabschiedeten uns. Ich lehnte den Bürostuhl noch weiter zurück - nicht ganz bis zu dem Punkt, wo er kippte, aber fast - und betrachtete das Foto unserer Klause im westlichen Maine. Sara Lacht, fast wie der Titel dieser rührseligen alten Ballade von Hall und Oates. Jo hatte das Haus mehr geliebt, richtig, aber nur ein wenig, also warum hatte ich es gemieden? Bill Dean, der Hausmeister, nahm jedes Frühjahr die Sturmläden ab und setzte sie jeden Herbst wieder ein, ließ im Herbst die Leitungen ab und vergewisserte sich im Frühling, daß die Pumpe funktionierte, überprüfte den Generator, kümmerte sich darum, daß sämtliche Wartungszettel auf dem neuesten Stand waren, und verankerte am Memorial Day das kleine schwimmende Floß etwa fünfzig Meter von unserem winzigen Strandabschnitt entfernt.
    Bill hatte im Sommer’96 den Schornstein gereinigt, obwohl zwei Jahre oder länger kein Feuer im Kamin gebrannt hatte. Ich bezahlte ihn vierteljährlich, wie es bei Hausmeistern in
diesem Teil der Welt üblich ist; Bill Dean, ein alter Yankee aus einer altehrwürdigen Familie von Yankees, löste die Schecks ein und fragte nicht, warum ich keinen Gebrauch von dem Haus mehr machte. Seit Jos Tod war ich nur zwei- oder dreimal dort gewesen, nicht einmal über Nacht. Ein Glück, daß Bill nie gefragt hat, denn ich hätte nicht gewußt, was ich ihm antworten sollte. Bis zu meiner Unterhaltung mit Harold hatte ich gar nicht über Sara Lacht nachgedacht.
    Als ich an Harold dachte, wandte ich den Blick von dem Foto ab und dem Telefon zu. Stellte mir vor, wie ich zu ihm sagte: Dann geht es eben abwärts mit mir, na und? Ist das das

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