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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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noch ein Bier zu holen. Obst und Gemüse bildeten wieder einen hübschen Kreis. In der Mitte sagten die Buchstaben jetzt:
    Frieden ruht
    Wie auf manchen alten Grabsteinen - Gebe Gott, daß sie in Frieden ruht . Ich betrachtete diese Buchstaben lange Zeit. Dann fiel mir ein, daß die IBM noch auf der Veranda stand. Ich holte sie herein, stellte sie auf den Eßtisch und arbeitete weiter an meinem derzeitigen dummen kleinen Buch. Fünfzehn Minuten später war ich weggetreten und merkte nur ganz am Rande, daß es irgendwo über dem See donnerte und Bunters Glöckchen von Zeit zu Zeit läutete. Als ich eine Stunde später zum Kühlschrank ging, um mir noch ein Bier zu holen, lautete die Inschrift in dem Kreis:
    sgelaugt in Frieden ruht
    Ich merkte es kaum. In dem Moment war mir egal, ob sie ausgelaugt in Frieden ruhten oder im Licht des silbernen Mondes den Hucklebuck tanzten. John Shackleford erinnerte sich allmählich an seine Vergangenheit und das Kind, dessen einziger Freund er gewesen war. Den kleinen ungeliebten Ray Garraty.
    Ich schrieb bis Mitternacht. Bis dahin hatte sich der Donner verzogen, aber die Hitze blieb, drückend wie eine Decke. Ich schaltete die IBM aus und ging ins Bett … und dachte, soweit ich mich erinnern kann, an gar nichts - nicht einmal an Mattie, die wenige Meilen entfernt in ihrem eigenen Bett lag. Das Schreiben hatte sämtliche Gedanken an die Wirklichkeit ausgebrannt, jedenfalls vorübergehend. Ich glaube, zu guter Letzt ist es genau dafür da. Gut oder schlecht, es ist ein Zeitvertreib.

Kapitel 21
    Ich ging auf der Straße nach Norden. Lampions säumten den Weg, aber sie waren alle dunkel, weil Tageslicht herrschte - helles Tageslicht. Die trübe, dunstige Atmosphäre des Juli war verschwunden; der Himmel hatte den tiefen Saphirton, der einzig und allein dem Oktober vorbehalten ist. Der See darunter war von tiefstem Dunkelblau; Sonnenfünkchen flimmerten darauf. Die Bäume hatten den Höhepunkt ihrer Herbstfärbung gerade überschritten und loderten wie Fackeln. Ein Wind von Süden wehte die abgefallenen Blätter an mir vorbei und in raschelnden, duftenden Böen zwischen meinen Beinen hindurch. Die Lampions nickten, als würde ihnen die Jahreszeit zusagen. Voraus konnte ich leise Musik hören. Sara and the Red-Tops. Sara sang aus vollem Hals, lachte sich durch den Text wie immer … aber wie konnte sich Gelächter so sehr nach einem Fauchen anhören?
    »Weißer Junge, ich würde nie mein eigenes Kind töten. Daß du so was auch nur denken kannst!«
    Ich wirbelte herum und rechnete damit, sie direkt hinter mir zu sehen, aber es war niemand da. Nun …
    Die Grüne Lady war da, aber sie hatte sich für den Herbst umgezogen und war jetzt die Gelbe Lady. Der kahle Kiefernzweig hinter ihr wies immer noch den Weg: Geh nach Norden, junger Mann, geh nach Norden. Ein kurzes Stück die Straße hinunter stand eine weitere Birke, die, an der ich mich festgehalten hatte, als ich erneut dieses schreckliche Gefühl hatte, zu ertrinken.
    Ich wartete, daß es wiederkommen würde - daß der Eisengeschmack des Sees meinen Mund und meine Kehle erfüllen würde -, aber dazu kam es nicht. Ich sah zu der Gelben Lady zurück und weiter zu Sara Lacht. Das Haus war da, aber deutlich kleiner: kein Nordflügel, kein Südflügel, kein erster Stock. Und keine Spur von Jos Atelier daneben. Das alles war noch nicht gebaut. Die Birkendame war mit mir aus
dem Jahr 1998 zurückgereist; ebenso die über dem See. Ansonsten -
    »Wo bin ich?« fragte ich die Gelbe Lady und die nickenden Lampions. Dann fiel mir eine bessere Frage ein. » Wann bin ich?« Keine Antwort. »Es ist ein Traum, richtig? Ich liege im Bett und träume.«
    Irgendwo über dem gleißenden, goldfunkelnden Netz des Sees rief ein Eistaucher. Zweimal. Pfeif einmal für ja, zweimal für nein , dachte ich. Kein Traum, Michael. Ich weiß nicht genau, was es ist - vielleicht eine spirituelle Zeitreise -, aber es ist kein Traum .
    »Passiert das wirklich?« fragte ich den Tag, und irgendwo unter den Bäumen, wo ein Trampelpfad, aus dem einmal der Weg zweiundvierzig werden sollte, zu einer Schotterstraße führte, die einmal den Namen Route 68 tragen sollte, schrie eine Krähe. Nur einmal.
    Ich ging zu der Birke, die über den See ragte, legte einen Arm darum (was eine Erinnerung daran auslöste, wie ich die Hände um Matties Taille gelegt und gespürt hatte, wie ihr Kleid über ihre Haut glitt), spähte in das Wasser und wünschte mir halb, den ertrunkenen Jungen

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