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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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aufgestanden und ein wenig schlafgewandelt. Ein außergewöhnlich lebhafter Traum vom Jahrmarkt in Fryeburg.
    Aber das war Quatsch, und nicht nur, weil ich das blaue Seidenband von Kis Hut hatte. Nichts davon wirkte nach dem Aufwachen wie ein Traum, wenn alles, das plausibel schien, plötzlich lächerlich wirkt und alle Farben - sowohl die hellen wie die geheimnisvollen - augenblicklich verblassen. Ich hob
die Hände zum Gesicht, hielt sie über die Nase und atmete tief ein. Kiefern. Als ich genauer hinsah, sah ich sogar einen winzigen Schmierer Harz am kleinen Finger.
    Ich setzte mich auf das Bett und überlegte mir, ob ich das, was ich gerade erlebt hatte, auf Band sprechen sollte, ließ mich aber statt dessen auf das Kissen sinken. Ich war zu müde. Donner grollte. Ich machte die Augen zu, döste ein, doch dann hallte ein Schrei durch das Haus. Scharf wie ein abgebrochener Flaschenhals. Ich fuhr mit einem Aufschrei hoch und schlug die Arme um die Brust.
    Es war Jo. Ich hatte sie in unserer gemeinsamen Zeit nie so schreien gehört, wußte aber trotzdem, daß sie es war. »Hör auf, ihr weh zu tun!« brüllte ich in die Dunkelheit. »Wer immer du bist, hör auf, ihr weh zu tun! «
    Sie schrie wieder, als würde etwas mit einem Messer, einer Schraubzwinge oder einem heißen Schürhaken diabolische Freude dabei empfinden, sich mir zu widersetzen. Diesmal schien der Schrei aus der Ferne zu kommen, und ihr dritter Schrei, der so gequält wie die beiden ersten klang, war noch weiter entfernt. Sie klangen ab, wie die Schreie des kleinen Jungen abgeklungen waren.
    Ein vierter Schrei hallte durch die Dunkelheit, dann war Sara still. Rings um mich herum atmete das Haus atemlos. Empfänglich in der Hitze, wachsam im schwachen Donnergrollen der Morgendämmerung.

Kapitel 22
    Es gelang mir schließlich, in die Zone zu gelangen, aber als ich dort war, konnte ich nichts tun. Ich habe immer einen Stenoblock für Notizen parat - Listen von Figuren, Seitenverweise, chronologische Datenangaben -, und darauf kritzelte ich ein wenig herum, aber das Blatt Papier in der IBM blieb unbeschrieben. Kein donnernder Herzschlag, keine pochenden Augen oder Atemnot, mit anderen Worten, kein Panikanfall, aber auch keine Story. Andy Drake, John Shackleford, Ray Garraty, die wunderschöne Regina Whiting … sie wandten mir alle den Rücken zu und weigerten sich, zu sprechen oder eine Bewegung zu machen. Das Manuskript lag an seiner angestammten Stelle links von der Schreibmaschine, ein hübsches Stück Quarz, das ich auf der Straße gefunden hatte, diente als Briefbeschwerer, aber nichts passierte. Null.
    Hier erkannte ich eine Ironie, vielleicht sogar eine Moral. Jahrelang war ich vor den Problemen der Wirklichkeit davongelaufen und in die verschiedenen Narnias meiner Fantasie geflohen. Jetzt war die Wirklichkeit von beängstigendem Dickicht überwuchert, Wesen mit Zähnen lauerten in manchen davon, und der Schrank war für mich verschlossen.
    Kyra , hatte ich geschrieben und den Namen mit einem Schlaufenkreis umgeben, der eine tausendblättrige Rose darstellen sollte. Darunter hatte ich ein Stück Brot gemalt, auf dessen oberer Kruste keck ein Barett saß. Noonans Vorstellung von einem französischen Toast. Die von Schnörkeln umgebenen Buchstaben L. B. Ein Hemd mit einer skizzenhaften Ente darauf. Daneben hatte ich QUAK QUAK geschrieben. Unter QUAK QUAK hatte ich gekritzelt: Sollte fortgehen ›Bon Voyage‹.
    Auf eine andere Stelle des Blatts hatte ich Dean, Auster und Devore geschrieben. Das waren diejenigen, die am meisten dagewesen zu sein schienen, am gefährlichsten. Weil sie Nachkommen hatten? Aber das mußten doch gewiß alle sieben dieser Schläger haben, oder nicht? Damals kamen die meisten
Familien in Großpackungen. Und wo bin ich ? hatte ich gefragt, aber Devore hatte es nicht sagen wollen.
    Auch an einem drückend heißen Vormittag um neun Uhr dreißig kam es mir nicht wie ein Traum vor. Aber was genau blieb dann übrig? Visionen? Zeitreise? Und wenn diese Reise einen Sinn hatte, wie sah der aus? Was war die Botschaft, und wer versuchte, sie zu senden? Ich erinnerte mich deutlich, was ich gesagt hatte, kurz bevor ich aus dem Traum erwachte, in dem ich schlafwandelnd in Jos Atelier gegangen war und meine Schreibmaschine geholt hatte: Ich glaube diese Lügen nicht . Auch jetzt nicht. Bis ich wenigstens ein Stück von der Wahrheit sehen konnte, wäre es vielleicht das beste, gar nichts zu glauben.
    Ganz oben auf das Blatt, auf dem ich

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