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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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jetzt spaziert sie stolz wie ein Pfau mit dem Bankert herum. Sie geht auf der Straße spazieren, als ob sie ein Recht hätte, da zu sein, obwohl niemand mit ihr reden will -
    »Aber das stimmt nicht, oder?« fragte ich Devore. »Das ist dem alten Uropa wirklich sauer aufgestoßen, was? Sie haben mit ihr geredet. Sie hatte etwas an sich - vielleicht dieses Lachen. Männer haben mit ihr über die Ernte gesprochen und Frauen haben ihr ihre Babys gezeigt. Sie haben ihr die Babys sogar zum Halten gegeben, und wenn sie mit ihnen gelacht hat, haben sie zurückgelacht. Die Mädchen haben sie um Rat gefragt, wenn es um Jungs ging. Die Jungs … die haben nur
gekuckt. Aber wie sie gekuckt haben, hm? Ihre Augen sind feucht geworden, und ich wette, die meisten haben an sie gedacht, wenn sie sich auf den Abort geschlichen haben und ihre Handflächen feucht geworden sind.«
    Devore funkelte mich an. Er alterte vor meinen Augen, die Linien gruben sich immer tiefer in sein Gesicht; er wurde zu dem Mann, der mich in den See gestoßen hatte, weil er es nicht ertragen konnte, wenn ihm jemand in die Quere kam. Und je älter er wurde, desto durchscheinender wurde er.
    »Das hat Jared am meisten gehaßt, nicht wahr? Daß sie sich nicht abgewandt, sie nicht geschnitten haben. Sie ging auf der Straße spazieren, und niemand hat sie wie einen Nigger behandelt. Sie haben sie wie eine Nachbarin behandelt.«
    Ich war in der Zone, tiefer, als ich je gewesen war, ganz unten, wo das Unterbewußtsein der Stadt wie ein unterirdischer Fluß zu fließen schien. Ich konnte aus diesem Fluß trinken, während ich in der Zone war, konnte Mund und Kehle und Bauch mit dem kalten Mineralgeschmack füllen.
    Den ganzen Sommer über hatte Devore mit ihnen gesprochen. Sie waren mehr als sein Team, sie waren seine Jungs: Fred und Harry und Ben und Oren und George Armbruster und Draper Finney, der sich im Sommer darauf das Genick brechen und ertrinken sollte, als er betrunken einen Kopfsprung in den Steinbruch von Eades machte. Aber es war einer der Unfälle, die gewissermaßen mit Absicht geschehen. Draper Finney trank zwischen Juli 1901 und August 1902 eine Menge, weil er nur so Schlaf finden konnte. Weil er nur so die Hand vergessen konnte, die Hand, die aus dem Wasser ragte und sich zur Faust ballte und wieder öffnete, bis er schreien wollte: Hört sie nicht auf damit, hört sie denn niemals auf damit?
    Den ganzen Sommer über redete Devore von der Niggerschlampe und der hochnäsigen Schlampe. Den ganzen Sommer über predigte er ihnen von ihrer Verantwortung als Männer, von ihrer Pflicht, die Gemeinde rein zu halten, und wie sie sehen mußten, was andere nicht sahen, und tun, was andere nicht taten.
    Es war an einem Sonntagnachmittag im August, zu einer Zeit, als das Treiben auf der Straße sichtlich nachließ. Später,
gegen fünf oder so, wurde es wieder belebter, und von sechs bis Sonnenuntergang würde der breite Weg am See entlang dicht bevölkert sein. Aber um drei Uhr nachmittags herrschte Ebbe. Die Methodisten besuchten ihren Nachmittagsgottesdienst drüben in Harlow; im Warrington’s nahmen die versammelten Feriengäste aus dem Flachland zu einem schweren nachmittäglichen Sabbatmahl aus Brathuhn oder Schinken Platz; überall im Stadtgebiet machten sich Familien über ihr eigenes Sonntagsessen her. Diejenigen, die schon fertig waren, dösten während der Hitze des Tages - wenn möglich in einer Hängematte. Sara liebte diese ruhige Zeit. Liebte sie wirklich. Sie hatte einen großen Teil ihres Lebens auf den Mittelwegen von Jahrmärkten und in verrauchten Kneipen verbracht und ihre Songs hinausgeschrien, damit man sie über die Stimmen von betrunkenen Grobianen mit roten Gesichtern hören konnte, und auch wenn ein Teil von ihr die Aufregung und Unvorhersehbarkeit dieses Lebens liebte, liebte ein weiterer Teil auch den Frieden dieses anderen. Die Ruhe der Spaziergänge. Schließlich wurde sie nicht jünger; sie hatte ein Kind, das schon längst kein Baby mehr war. An diesem speziellen Sonntag muß ihr die Straße fast zu ruhig vorgekommen sein. Sie ging von der Wiese eine Meile nach Süden, ohne eine Menschenseele zu sehen - selbst Kito war nicht mehr da; er war zurückgeblieben, um Beeren zu pflücken. Es war, als wäre die ganze Stadt verlassen. Sie weiß, in Kashwakamak findet ein Eastern-Star-Essen statt, sie hat sogar eine Pilzpastete dazu beigesteuert, weil sie mit einigen der Damen von Eastern Star Freundschaft geschlossen hat. Sie werden alle

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