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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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von großen braunen Altersflecken. Ihr Gesicht war ein Keil mit den vorstehenden Wangenknochen eines Totenschädels und einer faltenlosen leuchtenden Stirn. Unter dieser Wölbung lagen ihre Augen in Schattenhöhlen. Weißes Haar hing glatt und schmucklos über ihre Ohren und zu dem vorspringenden Sims des Kinns.
    Herrgott, ist sie dünn , dachte ich. Sie ist nichts als ein Sack voll -
    Da durchlief mich ein Schaudern. Ein heftiges, als würde jemand einen Draht in meine Haut bohren. Ich wollte nicht, daß sie es bemerkte - was für eine Art, einen Sommertag zu beginnen,
indem man einen Typ so abstößt, daß er zitternd und mit verzerrtem Gesicht vor einem stand -, daher hob ich die Hand und winkte. Ich versuchte auch zu lächeln. Hallo, Lady, Sie da auf der schwimmenden Bar. Hallo, Sie alter Sack voll Knochen, Sie haben mir eine Scheißangst gemacht, aber dazu braucht es derzeit nicht viel, daher verzeihe ich Ihnen. Wie geht’s Ihnen denn so, verdammte Scheiße? Ich fragte mich, ob mein Lächeln für sie so sehr wie eine Grimasse aussah, wie es sich für mich anfühlte.
    Sie winkte nicht zurück.
    Ich kam mir wie ein Idiot vor - ES GIBT KEINEN DORFTROTTEL HIER, WIR WECHSELN UNS ALLE AB -, beendete das Winken mit einem halbherzigen Salut und ging den Weg zurück, den ich gekommen war. Fünf Schritte, und ich mußte über die Schulter sehen; das Gefühl, daß sie mich beobachtete, war so stark, als würde eine Hand zwischen meine Schulterblätter gedrückt.
    Der Steg, wo sie gestanden hatte, war vollkommen leer. Ich kniff die Augen zusammen, weil ich zunächst sicher war, daß sie einfach weiter in die Schatten zurückgewichen sein mußte, den die kleine Fuselhütte warf, aber sie war fort. Als wäre sie selbst ein Geist gewesen.
    Sie ist in die Bar gegangen , sagte Jo. Das weißt du, oder nicht? Ich meine … du weißt es doch, richtig?
    »Ja, ja«, murmelte ich und ging weiter auf der Straße in nördlicher Richtung, nach Hause. »Natürlich weiß ich es. Wohin sonst?« Nur kam es mir nicht so vor, als hätte sie dazu Zeit gehabt; mir kam es nicht so vor, als hätte sie hineingehen können, ohne daß ich es hörte, selbst barfuß nicht. Nicht an so einem stillen Morgen.
    Wieder Jo: Vielleicht ist sie eine Leisetreterin.
    »Ja«, murmelte ich. Ich führte noch eine Menge Selbstgespräche, bevor dieser Sommer zu Ende ging. »Ja, vielleicht ist sie das. Vielleicht ist sie eine Leisetreterin.« Klar. Wie Mrs. Danvers.
    Ich blieb wieder stehen und drehte mich um, aber der öffentliche Weg führte um eine leichte Krümmung des Sees herum, daher konnte ich weder Warrington’s noch die Sunset Bar sehen. Und das war auch wirklich ganz gut so.

     
    Auf dem Rückweg versuchte ich, eine Liste aller merkwürdigen Umstände vor und während meiner Rückkehr nach Sara Lacht zusammenzustellen: die wiederkehrenden Träume; die Sonnenblumen; der Aufkleber des Rundfunksenders; das Weinen in der Nacht. Ich dachte, daß meine Begegnung mit Mattie und Kyra und der anschließende Anruf von Mr. Pixel Easel ebenfalls als merkwürdig eingestuft werden konnten … aber nicht auf dieselbe Weise wie ein Kind, das man in der Nacht schluchzen hört.
    Und was war mit der Tatsache, daß wir in Derry gewesen waren und nicht am Dark Score, als Johanna starb? War das merkwürdig genug für die Liste? Ich wußte es nicht. Ich konnte mich nicht einmal mehr erinnern, warum es so gewesen war. Im Herbst und Winter 1993 hatte ich mich mit einem Drehbuch von Der Mann im roten Hemd herumgeschlagen. Im Februar 1994 fing ich mit Von ganz oben an, und das beanspruchte fast meine ganze Aufmerksamkeit. Außerdem, die Entscheidung, nach Westen zu fahren, nach Westen zu Sara …
    »Das war Jos Aufgabe«, sagte ich in den Tag hinein, und kaum hörte ich die Worte, wurde mir klar, wie richtig sie waren. Wir liebten das alte Mädchen beide, aber zu sagen: »He, Ire, laß uns die Ärsche lüpfen und ein paar Tage rüber zum TR fahren«, war Jos Aufgabe gewesen. Sie konnte es jederzeit sagen … aber im Jahr vor ihrem Tod hatte sie es nicht einmal gesagt. Und mir wäre nie eingefallen, es an ihrer Stelle zu sagen. Ich hatte Sara Lacht irgendwie vollkommen vergessen, schien es, sogar als der Sommer kam. War es möglich, sich derart in das Schreiben eines Romans zu vertiefen? Es schien unwahrscheinlich … aber was für eine andere Erklärung gab es?
    Etwas stimmte ganz und gar nicht mit diesem Bild, aber ich wußte nicht, was es war. Da konnte ich grübeln, soviel ich

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