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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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normalerweise mit Zwirnrollen, Garnfäden, Nadelkissen, Skizzen, vielleicht einem Buch über den spanischen Bürgerkrieg oder berühmte amerikanische Hunde übersät gewesen. Johanna konnte ein Ärgernis sein, jedenfalls für mich, weil sie kein echtes System oder eine Ordnung in dem hatte, was sie tat. Sie konnte auch einschüchternd sein, manchmal sogar überwältigend. Sie war ein brillanter Wirrkopf, und das hatte man ihrem Schreibtisch immer angesehen.
    Aber jetzt nicht. Es war denkbar, daß Mrs. M. das Durcheinander darauf aufgeräumt und hingestellt hatte, was jetzt darauf stand, aber völlig unwahrscheinlich. Warum sollte sie das tun? Es ergab keinen Sinn.
    Der Gegenstand war mit einer grauen Plastikhaube abgedeckt. Ich streckte die Hand aus, um sie zu berühren, hielt aber vier oder fünf Zentimeter davon entfernt inne, als die Erinnerung an einen alten Traum (gib das her. Es ist mein Staubfänger) mir durch den Kopf ging, wie der seltsame Luftzug über mein Gesicht gestrichen war. Dann war sie dahin, und ich zog die Plastikhaube weg. Darunter befand sich meine alte grüne IBM Selectric, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen, an die ich seit Jahren nicht mehr gedacht hatte. Ich beugte mich näher hin und wußte, der Kugelkopf würde Courier sein - meine alte Lieblingsschrift -, noch bevor ich ihn sah.
    Was, in Gottes Namen, machte meine alte Schreibmaschine hier?
    Johanna malte (wenn auch nicht besonders gut), sie machte Fotos (sogar ziemlich gute) und verkaufte sie manchmal, sie
strickte, sie häkelte, sie webte und batikte, sie konnte acht oder zehn Grundakkorde auf der Gitarre spielen. Natürlich konnte sie schreiben; die meisten Literaturstudenten können das, deshalb studieren sie ja Literatur. Zeigte sie ein flammendes Ausmaß literarischer Kreativität? Nein. Nach einigen Experimenten mit Poesie als Studienanfängerin gab sie diesen speziellen Zweig der Künste als schlechten Job auf. Du schreibst für uns beide, Mike , hatte sie einmal gesagt. Das gehört dir allein; ich probiere ein bißchen von allem anderen . Angesichts der Qualität ihrer Gedichte, im Gegensatz zu der ihrer Tücher, Fotografien und Stricksachen, dachte ich, daß das eine kluge Entscheidung war.
    Aber da stand meine alte IBM. Warum?
    »Briefe«, sagte ich. »Sie hat sie unten im Keller oder sonstwo gefunden und gerettet, um Briefe damit zu schreiben.«
    Aber das paßte nicht zu Jo. Sie zeigte mir die meisten ihrer Briefe und drängte mich häufig, selbst ein kurzes Postskriptum anzuhängen, indem sie mir Schuldgefühle mit dem alten Sprichwort machte, daß die Kinder von Schustern immer barfuß laufen (»und Freunde von Schriftstellern nie von ihnen hören würden, wenn es Alexander Graham Bell nicht gegeben hätte«, fügte sie meistens hinzu). Ich hatte in der ganzen Zeit, seit wir verheiratet waren, nicht einen getippten Privatbrief meiner Frau gesehen - und sei es nur aus dem Grund, weil sie es unter beschissene Umgangsformen subsumiert hätte. Sie konnte tippen und schrieb fehlerfreie Geschäftsbriefe langsam und doch methodisch, aber für diese Aufgabe benutzte sie stets meinen Computer oder ihr eigenes PowerBook.
    »Was hast du im Schilde geführt, Liebling?« fragte ich und machte mich daran, ihre Schubladen zu durchsuchen.
    Brenda Meserve hatte sich damit größte Mühe gegeben, aber vor Jos grundsätzlicher Natur kapitulieren müssen. Oberflächliche Ordnung (zum Beispiel nach Farben sortierte Zwirnrollen) wichen bald Jos gutem altem Durcheinander. Ich fand soviel Typisches von ihr in diesen Schubladen, daß mir hundert unerwartete Erinnerungen das Herz schwer machten, aber ich fand keine Papiere, die mit meiner alten IBM getippt worden waren, mit oder ohne den Courier-Kugelkopf. Nicht eine einzige Seite.

    Als ich mit meiner Jagd fertig war, lehnte ich mich auf meinem Stuhl ( ihrem Stuhl) zurück und betrachtete das kleine gerahmte Foto auf ihrem Schreibtisch; ich konnte mich nicht erinnern, daß ich es jemals zuvor gesehen hatte. Jo hatte den Abzug wahrscheinlich selbst gemacht (das Original stammte vermutlich vom Dachboden eines Einheimischen) und ihn dann mit der Hand ausgemalt. Das Endergebnis sah aus wie ein von Ted Turner kolorierter Steckbrief.
    Ich hob das Foto auf und strich nachdenklich mit dem Daumen über die Glasplatte. Sara Tidwell, Bluessängerin der Jahrhundertwende, deren letzter bekannter Aufenthaltsort genau hier im TR-90 gewesen war. Als sie und ihre Leute - manche von ihnen Freunde, die meisten

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