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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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auf den Liegestuhl fallen, wo ich am Abend des vierten gesessen hatte, als Devore anrief. Selbst nach meinem Besuch von ›Daddy‹ konnte ich kaum glauben, daß dieses Gespräch stattgefunden hatte. Devore hatte mich einen Lügner genannt; ich ihm geantwortet, daß er sich meine Telefonnummer in den Arsch schieben konnte. Als Nachbarn hatten wir einen großartigen Start erwischt.
    Ich zog den Stuhl etwas näher zum Rand der Veranda, die schwindelerregende fünfzehn Meter zum Hang zwischen der Rückseite von Sara und dem Seeufer abfiel. Ich suchte nach der grünen Frau, die ich beim Schwimmen gesehen hatte, und sagte mir gleichzeitig, ich sollte kein Trottel sein - so etwas kann man nur aus einem bestimmten Winkel sehen; ging man nur drei Schritte auf die eine oder andere Seite, gab es nichts mehr zu sehen. Aber dies war offenbar einer der Fälle, wo die Ausnahme die Regel bestätigt. Ich stellte amüsiert und ein wenig nervös fest, daß die Birke unten an der Straße von der Landseite wie eine Frau aussah, genau wie vom See. Teils lag das an der Kiefer unmittelbar dahinter - dem kahlen Ast, der wie ein knochiger Arm nach Norden zeigte -, aber nicht nur. Von hier fügten sich die weißen Glieder und die schmalen Blätter der Birke immer noch zum Umriß einer Frau zusammen, und wenn der Wind die unteren Äste des Baums schüttelte, bauschten sich Grün und Silber wie ein langer Rock.
    Ich hatte Harolds wohlmeinendes Angebot, mich zu besuchen, fast abgelehnt, bevor er es richtig artikuliert hatte, und als ich die Baumfrau betrachtete, die selbst etwas Geisterhaftes hatte, wußte ich auch, warum: Harold war laut, Harold war nicht für feine Nuancen empfänglich, Harold hätte abschrecken können, was auch immer hier war. Das wollte ich nicht. Ich hatte Angst, ja - als ich auf der dunklen Kellertreppe gestanden und das Klopfen dicht unter mir gehört hatte, da hatte ich regelrechtes Entsetzen verspürt -, aber ich hatte mich auch zum erstenmal seit Jahren wieder richtig lebendig gefühlt. Ich berührte etwas in Sara, das völlig außerhalb meiner Erfahrung lag, und das faszinierte mich.

    Das schnurlose Telefon auf meinem Schoß läutete, und ich zuckte zusammen. Ich nahm ab und erwartete Max Devore oder vielleicht Footman, seinen goldbehangenen Handlanger. Wie sich herausstellte, war es ein Anwalt namens John Storrow, der sich anhörte, als hätte er gerade erst sein Examen gemacht - letzte Woche etwa. Aber er arbeitete für die Kanzlei Avery, McLain und Bernstein in der Park Avenue, und Park Avenue ist eine ziemlich gute Adresse für einen Anwalt, auch wenn er noch ein paar seiner Milchzähne hat. Wenn Henry Goldacre sagte, daß Storrow gut war, dann war er es wahrscheinlich auch. Und sein Spezialgebiet war Sorgerecht.
    »Und jetzt erzählen Sie mir, was da oben los ist«, sagte er, als wir uns vorgestellt hatten und er in die Hintergründe eingeweiht war.
    Ich gab mir größte Mühe und spürte, wie sich meine Stimmung besserte, während ich den Sachverhalt schilderte. Es hat etwas seltsam Beruhigendes, mit einem Juristen zu sprechen, wenn die Uhr erst einmal tickt, nach der er seine Stundensätze berechnet; Sie haben die magische Linie überschritten, an dem ein Anwalt zu Ihrem Anwalt wird. Ihr Anwalt ist teilnahmsvoll, Ihr Anwalt hat Verständnis, Ihr Anwalt macht sich Notizen auf einem gelben Block und nickt an den richtigen Stellen. Die meisten Fragen, die Ihr Anwalt stellt, sind Fragen, die Sie beantworten können. Und wenn Sie es nicht können, hilft Ihr Anwalt Ihnen dabei, eine Möglichkeit zu finden, wie Sie es doch können, bei Gott. Ihr Anwalt ist immer auf Ihrer Seite. Ihre Feinde sind seine Feinde. Für ihn sind Sie niemals Scheiße, sondern immer Schuhcreme.
    Als ich fertig war, sagte John Storrow: »Mann, ich bin überrascht, daß sich die Zeitungen noch nicht darauf gestürzt haben.«
    »Daran hab’ ich noch gar nicht gedacht.« Aber ich verstand, was er meinte. Die Familiensaga der Devores war vielleicht nichts für die New York Times oder den Boston Globe , vielleicht nicht einmal für die Derry News , aber in die wöchentlichen Regenbogengazetten wie den National Enquirer oder Inside View würde sie passen wie angegossen - King Kong beschließt, sich statt des Mädchens das unschuldige Kind des Mädchens zu
schnappen und mit ihm auf die Spitze des Empire State Building zu fliehen. Oh, iih, gib das Baby zurück, du Monster. Das war kein Material für die erste Seite, kein Blut und keine Aufnahmen

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