Sarah Boils Bluterbe (German Edition)
wirkte er befreiter. Sie war sein Schöpfer gewesen und mit ihrer Verbannung aus unserer Welt war ihre irdische Macht auf ihn übergegangen. Er trotzte vor Kraft und Energie. Und dennoch zog er sich wie ein winselndes Tier zurück, das den Verlust seiner Herrin verkraften musste und leckte seine Wunden. Ich schien wie ein Schatten durch die Zeit zu reisen, sah, wie die restlichen Vampire sich in dunkle Löcher verkrochen, sie versteckten sich wie Ratten in der Kanalisation. Nachts, wenn die Stadt schlief, krochen sie wieder heraus, um an ihr wichtigstes Überlebenselixier zu gelangen. Sie rissen das wilde Tier in den Wäldern, stahlen den Bauern ihr Vieh und zogen schnell weiter, um nicht erkannt zu werden. Ständig auf der Flucht, viele hundert Jahre lang. Die Zeit raste wie ein schimmernder und glühender Eilzug an mir vorbei. Ständig wechselten die Informationen und die Bilder.
Wie aus dem Nichts tauchte meine Mutter auf: Ich sah sie an der Bushaltestelle stehen. Genauso, wie sie es mir beschrieben hatte. Ein Ruck ging durch meinem Körper, ich spürte einen heißen Stoß in meinem Kopf, worauf meine Eingeweide sich zusammenzogen. Wie durch eine Maske, blickte ich auf verschiedene Szenen, die sich vor meinem geistigen Auge abspielten. Ich fühlte jemanden in mir, tief in meiner Seele. Irgendwas schien auf dieser Geistreise Besitz von mir zu nehmen. Doch es war nicht Lionel. Ich kannte bereits das Gefühl, wenn er versuchte, in meinen Geist zu dringen. Lionel hatte ich irgendwo und irgendwann unterwegs verloren. Dort war jedoch jemand anderes, jemand der sich mir sehr nahe stehend anfühlte. Eine vertraute, wenn auch noch ein wenig befremdliche Ruhe erfasste mich von Kopf bis Fuß. Es fühlte sich gut an, mächtig an. Wie eine extreme enge Bindung, ein Band, das geknüpft wurde.
Christopher!
Er drang in meinen Geist, in meine Seele, in meinen Körper. Ich wusste nicht, woher ich es so genau definieren konnte, es war einfach da. Ich spürte ihn und sah nun durch seine Augen auf die Erlebnisse, wie er sie empfunden hatte. Mit seinen Blicken, betrachtete ich meine Mutter. Ihre Augen, ihr Lächeln, ihre Lippen. Ich spürte den hauch eines Windstoßes, dann irgendwo in den Fetzen der Luft meinen Namen: „Sarah, mein Kind…. nichts ist, wie es scheint. Du trägst die Kraft in dir. Du bist mein. Du bist ich.“
Seine Stimme klang rauchig und schwer. Mein Körper erfüllte sich just in diesem Augenblick mit einer seltsamen, mir befremdlichen Wärme, die sich in meinen Gliedern langsam und sanft ausbreitete. Selbst meine Haut, die ich als Geistreisende auch nicht hätte spüren dürfen, erwärmte sich, als würde die Sommersonne mich sanft bedecken. Etwas Seltsames geschah mit mir, doch ich verspürte keine Angst. Eine Kraftwelle erfasse mich und ich fühlte mich plötzlich unglaublich stark.
„Mein Kind, mein Blut fließt durch deine Adern. Mein Kampf soll jetzt der deinige sein. Kämpfe für Frieden und Gerechtigkeit. Setze fort, was ich begonnen habe. In deinen Adern fließt mein Blut. Ich übertrage dir ein Teil meiner Macht, mehr kann ich dir hier und jetzt nicht mit auf den Weg geben. Nutze sie gut.“
Meinen Körper durchzog ein fast schon schmerzhaft kalter Schauer. Ich begann zu zittern. Diese Kälte kroch an meinen Beinen hoch und gelangte in rasender Geschwindigkeit in meinen Geist. Meine Muskeln spannten sich und brannten wie die fließende innere Lavamasse eines Vulkanes. Wie zu einer Salzsäule erstarrt, stand ich einfach nur da, von diesem eisigkalten Schmerz erfasst. Kaum war diese undefinierbare Kraft über mich gekommen, da veränderte sich ebenso schnell meine Anatomie. Mein Körper fühlte sich leichter an, als je zuvor. Die Stimme Christophers, die erneut in meinen Kopf schoss, hinterließ einen stechenden, aber wirkungsvollen Stich in meinem Stirnlappen: „Lerne damit umzugehen. Und hab keine Angst. Dir wird sich mit der Zeit alles erschließen. Acht stets auf deine Gedanken. Sie sind der Schlüssel zu deiner Macht.“
Ich sah plötzlich die Farben um mich herum intensiver, hörte mich selbst deutlicher atmen und sogar meinen eigenen Herzschlag nahm ich wahr. Als hätte ich mein Leben lang hinter einem Schleier gelebt, eingehüllt in grauen Nebel, der mich stets lähmte. Meine Sinne schienen sich in rasendem Tempo zu verstärken. Ich hörte in der Ferne Stimmen. Ich erkannte sie wieder: Pater Aurelius und Lionel riefen meinen Namen. Sie klangen verzweifelt, riefen mich immer wieder zurück
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