Sarah Maclean
löste.
Hastig begann er sich anzuziehen, und nach einiger Zeit
stand auch Callie auf und tat es ihm nach. Er versuchte sie nicht
anzusehen, konnte aber nicht widerstehen, als sie sich von ihm
abwandte, um ihre Kniehosen anzuziehen. Es juckte ihn in den
Händen, sie zu berühren, sie an sich zu ziehen und noch einmal
ihren weichen Körper zu spüren. Energisch verdrängte er den
Tagtraum und machte sich daran, sein Krawattentuch zu bin-
den, während sie ihr Hemd überstreifte. Auf die Leinenbinde
verzichtete sie.
Sie drehte sich um, um nach ihrer Weste Ausschau zu hal-
ten, und begegnete seinem Blick. Die Traurigkeit in ihren Au-
gen war nicht zu übersehen. Offenbar bereute sie schon, was sie
getan hatten.
Er bückte sich und hob den Leinenstreifen auf, den sie liegen
lassen hatte, und ließ ihn durch die Finger gleiten. „Brauchst du
den noch?"
„Nein", sagte sie leise. „Dein Mantel ist groß genug, dass ich
mich darin verstecken kann... Außerdem habe ich dir doch ver-
sprochen, sie nicht wieder zu binden."
Die Worte und die erotische Macht, die vorhin in ihnen mitge-
schwungen hatte, hallten zwischen ihnen wider und wiesen ihn
erneut auf sein unverzeihliches Verhalten hin. Sie wandte sich
von ihm ab, während er sagte: „Stimmt, das hast du."
Er legte die Leinenbinde zusammen und steckte sie in seine
Weste. Dann bückte er sich, um den Rock vom Boden aufzuhe-
ben. Dabei fiel ihm ein Stück Papier auf, das darunter lag - die
Liste, die sie beide auf diesen wilden Weg geführt hatte.
Während er sich aufrichtete, öffnete er schon den Mund, um
ihr das Stück Papier darzubieten, schwieg dann aber, als er er-
kannte, dass sie ihm resolut den Rücken zukehrte, stocksteif,
mit gestrafften Schultern, als machte sie sich auf eine Schlacht
gefasst. Soeben steckte sie ihre Haare zu ihrer ursprünglichen
Frisur auf.
Aus irgendeinem Grund wollte er ihre alberne Liste nicht er-
wähnen. Stattdessen steckte er das zerknitterte Stück Papier
ein und wartete dann darauf, dass sie sich zu ihm umdrehte.
Ein paar Minuten später war es so weit, und ihm fielen sofort
die Gefühle in ihrem Blick auf. Ihre Augen glänzten vor unge-
weinten Tränen. Angesichts ihres Kummers kam er sich wie ein
ausgemachter Schuft vor. Er schluckte und suchte nach etwas,
was er sagen könnte. Offensichtlich wartete sie darauf, dass er
das Wort ergriff, die Worte aussprach, die seine Schuld tilgen
würden ... die Worte, die verhindern würden, dass ihre Tränen
zu fließen begannen.
Er wollte die richtigen Worte finden. Auch wenn er nicht in
der Lage war, den Schaden wiedergutzumachen, den er mit
seinem gedankenlosen, herzlosen Verhalten angerichtet hatte,
konnte er sich doch von jetzt ab wie ein Gentleman verhalten.
Und so sprach er das aus, was ein Gentleman in einer vergleich-
baren Situation seiner Ansicht nach sagte. Das, was Frauen in
dieser Situation hören wollten, dessen war er sich sicher. Das,
was ihre Tränen sicher trocknen würde.
„Bitte, verzeih mir mein Verhalten. Natürlich heirate ich
dich."
Er wartete den langen Augenblick ab, in dem die Worte zwi-
schen ihnen hingen. Callies Augen weiteten sich schockiert,
wurden dann schmal, als glaubte sie, sein Verstand sei gründ-
lich in Mitleidenschaft gezogen. Sicher würde sie bald erken-
nen, dass er sich wie ein Gentleman verhielt, darauf wartete er.
Er wartete auch darauf, dass sie sich über seinen Heiratsantrag
freute, dankbar dafür war. Aber im Grunde wartete er nur da-
rauf, dass sie etwas sagte - irgendetwas. Er wartete eine schier
endlos lange Zeit, während sie den Mantel anzog, die Hand-
schuhe überstreifte und den Hut aufsetzte.
Und als sie fertig war und ihn ansah und endlich etwas sag-
te, war es, als hätte er gar nicht gesprochen. „Danke für die-
sen überaus erbaulichen Abend. Würde es dir etwas ausmachen,
mich nun nach Hause zu bringen?"
Na ja. Wenigstens hatte sie nicht geweint.
Was für ein arroganter ... aufgeblasener ... schreckli-
cher Mann!" Callie riss Bücher aus der Bibliothek
von Allendale House und warf sie auf die wach-
senden Haufen zu ihren Füßen. Dabei sprach sie laut mit sich
selbst. „Natürlich heirate ich dich. Ich würde ihn auch dann
nicht heiraten, wenn er der letzte Mann in London wäre!"
Sie blies sich eine Locke aus den Augen und wischte sich die
Hände an dem grauen Wollkleid ab, das sie trug. Dann betrach-
tete sie den Schaden, den sie innerhalb der
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