Sarah Maclean
sondern das Selbstvertrauen und
das Selbstbewusstsein der Opernsängerin. Sie dominierte den
Ankleideraum genauso, wie sie die Bühne dominierte - ganz
und gar.
Sie war herrlich.
Und Callie beneidete die andere Frau, die sie im Spiegel be-
obachtete, um alles - von ihrer makellosen Haltung bis hin zu
den faszinierenden veilchenblauen Augen ... die Callie im Spie-
gel ansahen.
Sie lief rot an, wandte rasch den Blick ab und beeilte sich,
Madame Hebert einzuholen. Callie folgte der Französin um ei-
nen hohen Paravent, der eine Seite des Raums abtrennte, und
blieb abrupt stehen, als sie die Schneiderpuppe sah, über die
das möglicherweise herrlichste Gewand drapiert war, das sie je
gesehen hatte.
Madame Hebert sah sie mit einem verständnisvollen Lächeln
an. „Es gefällt Ihnen?"
„O ja ..." Callie juckte es in den Fingern, den Stoff zu berüh-
ren, über die Seide zu streichen, die herrlicher war, als sie in
Erinnerung hatte.
„Ausgezeichnet. Ich glaube, nun wird es Zeit, dass Sie das
Kleid so sehen, wie es gedacht war - an Ihnen. Finden Sie
nicht?"
Die Schneiderin drehte Callie um und machte sich an den
Knöpfen ihres Straßenkleides zu schaffen. Dann wies sie auf
die Kollektion von Unterwäsche, die neben dem Kleid auslag,
und meinte: „Mit der Wäsche fangen wir an."
Sofort schüttelte Callie den Kopf. „Oh, das geht nicht ... ich
habe jede Menge Sachen für darunter ... ich brauche nichts
Neues."
In diesem Augenblick war Callies Kleid aufgeknöpft und fiel
auseinander. Madame Hebert meinte: „Ich versichere Ihnen, Sie
brauchen etwas Neues." Sie half Callie aus Schnürmieder und
Hemd und sagte: „Die stolzesten Frauen sind die, die an jedes
Stück Stoff glauben, das sie tragen. Es sind diejenigen, die mit
ihren Beinkleidern genauso glücklich sind wie mit ihren Roben.
Man kann genau unterscheiden zwischen einer Frau, die sich in
Seide und Satin hüllt, und einer, die ...", die Schneiderin mach-
te eine kleine Pause, in der sie Callies abgetragenes Hemd zu
Boden fallen ließ, „... anderes trägt."
Callie schlüpfte in die neue, herrliche Unterwäsche, die mit
den verschiedensten Dingen aufgeputzt war - Satinschleifen,
winzigen handgearbeiteten Stoffrosen in wunderhübschen Far-
ben, Spitzeneinsätzen, die der Wäsche eine Spur Weiblichkeit
verliehen, die Callie bisher nie für nötig gehalten hatte. Wäh-
rend die Schneiderin ihr Schicht für Schicht in die Sachen half,
kam Callie sich ein wenig albern vor, weil sie das Gefühl von
Spitze und Seide auf der Haut so genoss, doch Madame Hebert
hatte recht gehabt. Es fühlte sich fast ein wenig verrucht an, so
frivole Unterkleidung zu tragen - vor allem, da Anne der einzi-
ge Mensch war, der die Sachen je zu Gesicht bekäme.
Doch in diesem Augenblick beugte sich die Schneiderin vor
und flüsterte, als hätte sie Callies Gedanken gelesen: „Verges-
sen wir doch nicht - man weiß nie, wer ein solches Geschenk
eines Tages auspacken könnte, oui ?" Callie lief puterrot an, und die Französin lachte wissend.
Und dann hatte sie das Kleid an; es passte wie angegossen.
Madame Hebert wirkte äußerst angetan, als sie ihre Kundin
umkreiste und das Kleid bis ins kleinste Detail prüfte. Sie sah
die staunende Callie zufrieden an und sagte: „Und jetzt hinaus
ins Anprobezimmer, dann werfen wir einen näheren Blick da-
rauf."
Callie folgte der Schneiderin in den Hauptraum. Nastasia
stand immer noch auf ihrem Podest, Valerie arbeitete am Saum
des roten Gewands. Beherzt schob Callie alle Unsicherheit bei-
seite und kletterte auf das zweite Podest im Raum, Madame
Hebert drehte sie sanft zu einem großen Spiegel, und Callie
riss vor Überraschung die Augen auf, als ihr klar wurde, dass
die Frau im Spiegel sie war. Sie schüttelte den Kopf. So hatte
sie sich noch nie gesehen - nicht mehr prüde und reizlos, son-
dern ... nun ja, äußerst bemerkenswert.
Ihre Brüste wurden von dem tiefen Ausschnitt geschickt ins
rechte Licht gerückt, wirkten voll und üppig, ohne vulgär zu
erschienen. Die Schnittführung über Taille, Hüften und Bauch
ließ sie wohlproportioniert statt füllig aussehen, und die Far-
be - das herrlichste, schimmerndste Blau, das sie je gesehen
hatte - verlieh ihrem sonst etwas kräftigen Teint einen rahm-
weißen Schimmer.
Auf ihrem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. Madame He-
bert hatte recht behalten. Dieses Kleid war wie gemacht für den
Walzer. Callie konnte nicht
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