Sarah Pauli 03 - Tod hinter dem Stephansdom
nur, weil sie schon einmal getötet hatte, sondern auch, weil sie das Gefühl hatte aufzuräumen. Und das befriedigte sie mehr, als sie dachte. Nicht wie man ein Haus oder eine Wohnung aufräumte. Nein, sie empfand die Morde als Wiedergutmachung, insofern als Aufräumen, als Wiederherstellen einer Ordnung. Sie rückte damit einen Teil ihres Universums wieder zurecht.
In diesem Augenblick dachte sie darüber nach, Gerhard Levics Leben noch in dieser Nacht zu beenden, ihn sozusagen vorzureihen. War es Zufall, dass er ihr hier fast in die Arme lief? Ihr Instinkt, auf den sie sich fast immer verlassen konnte, hatte sie ausgerechnet jetzt vor das Lokal geführt.
Es war ihre Chance.
Sie musste lächeln. Was für eine Nacht!
Rasch stopfte sie die restlichen Zettel in ihre Umhängetasche und machte sich auf den Weg. Sie wusste, wo seine Wohnung war und dass er sie nur wochentags und meistens alleine nutzte. Sie wusste so viel über ihn – und er so wenig über sie. Seine Frau und seine Kinder lebten im Burgenland. Dorthin fuhr er jeden Freitagmittag, spielte den liebevollen Ehemann und Vater und kam montags wieder zurück nach Wien.
Er wohnte in der Grünangergasse, einer Parallelstraße der Blutgasse. Dorthin konnte sie zu Fuß gehen. Sie beeilte sich, denn sie wollte ihn vor dem Zubettgehen erwischen. Ihren Plan ging sie mehrmals im Kopf durch.
Vor der Haustür zögerte sie kurz, mobilisierte ihre Energien und läutete an.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er die Tür öffnete. Sie hatte schon befürchtet, dass er eingeschlafen war. Als er sie sah, wirkte er weniger überrascht, als sie angenommen hatte. Und er war betrunkener, als sie vermutet hatte. Er erkannte sie allerdings erst auf den zweiten Blick.
» Du? Was willst du denn hier? «
Sie antwortete nicht, sondern zog ein kleines Kuvert hervor und wedelte ihm damit vor der Nase herum.
» Schöne Grüße von Mario. Er will, dass du dich noch ein bisschen entspannst heute Nacht. «
» Und da schickt er dich? « Er starrte sie aus glasigen Augen an und versuchte sichtlich angestrengt sich zu erinnern, ob er sie vorher schon im Privat getroffen hatte.
Sie lächelte sanft. » Das hier ist ein Geschenk des Hauses. «
» Und was bist du? « , fragte er und schnalzte obszön mit der Zunge.
» Die Zugabe. «
Er verzog seinen Mund zu einem anzüglichen Grinsen.
» Kann ich reinkommen, oder lässt du mich hier am Gang stehen? «
Er fragte nicht weiter, sondern ließ sie eintreten.
Sein erster Fehler.
Möglicherweise überlegte er bereits, was er alles mit ihr anstellen würde, sobald das Koks sein Gehirn erreicht hatte.
» Hast du was zu trinken da? «
Er zeigte in eine bestimmte Richtung und ging voran. Die Wohnung war geräumig und luxuriös eingerichtet. Was anderes hatte sie nicht erwartet.
» Wein? Sekt? «
Sie schüttelte den Kopf und antwortete: » Wodka. «
» Hey … so eine Überraschung « , sagte er, wirkte aber nicht unzufrieden. Frauen, die Wodka tranken, waren sicher keine Sensibelchen, wenn man sie beim Sex härter anfasste.
Er nahm ein Glas, schenkte ein und reichte es ihr schwankend.
» Was ist jetzt mit dem Kuvert? « , fragte er.
Sie gab es ihm, ohne ein Wort zu sagen, und nippte an dem Glas. Er drehte ihr den Rücken zu und kippte das Pulver aus dem Kuvert auf den Tisch.
Sein zweiter Fehler.
Jede Faser ihres Körpers war angespannt. Sie musste sich jetzt schnell entscheiden und das Richtige tun.
Sie entdeckte den Messerblock.
Messer zerteilten und durchbohrten Fleisch, sie nahmen Leben.
Ein japanisches Küchenmesser lag neben dem Block, als warte es nur darauf, von ihr in die Hand genommen zu werden. Es war ein Allzweckmesser mit spitz zulaufender Klinge. Geräuschlos griff sie danach. Sie musste es tun, bevor er sich zu ihr umdrehen und sie fragen würde, was sie mit dem Messer vorhatte. Sie fühlte den Griff. Er schmiegte sich in ihre Hand.
Jetzt!
In diesem Moment.
Es überraschte sie, wie leicht es war, das Messer in seinen Körper zu rammen. Wie leicht es den Stoff des Hemdes zerschnitt, die darunterliegende Haut durchdrang und sich tief in seinen Rücken bohrte. Vielleicht lag es auch daran, dass japanische Küchenmesser kompromisslos auf Schärfe geeicht wurden. Das hatte ihr jedenfalls der Verkäufer erzählt, als sie sich eines gekauft hatte. Oder lag es einfach nur daran, dass sie mit aller Kraft zugestoßen hatte? Sie stieß noch einmal zu, spürte ihre Wut, versenkte die Klinge fast bis zum Heft in seinem
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