Sarah Pauli 03 - Tod hinter dem Stephansdom
Rücken. Überlebte man einen Lungenstich? Blut sickerte aus der Wunde. Levic stöhnte und begann zu röcheln. Er wehrte sich kaum. Seine Sinne waren vom Alkohol benebelt. Als er auf dem Boden lag, stach sie noch ein paar Mal zu. Sicherheitshalber.
Irgendwann war er eingetreten, ruhig und unspektakulär, der Übergang vom Leben zum Tod.
Ob es Levic bewusst war, dass er in diesem Augenblick starb? Machte man sich in den letzten Sekunden seines Lebens Gedanken darüber, dass man nun in eine andere Welt ging? Dass man am nächsten Morgen seinen Kaffee nicht trinken würde, nicht zur Arbeit erschien, nicht mehr lieben konnte?
Das hätte sie ihn gerne gefragt. Mangelndes Interesse oder gar Emotionslosigkeit ihren Opfern gegenüber konnte man ihr jedenfalls nicht vorwerfen.
Die Wunde neben dem rechten Schulterblatt klaffte ihr entgegen. Es war der erste Stich gewesen. Auf die anderen Stiche hatte sie nicht mehr geachtet. Der erste war der wichtigste gewesen, weil dieser entschied, ob das Experiment gelang oder scheiterte.
Das Gemälde » Der Tod des Marat « von Jacques-Louis David kam ihr in den Sinn, das Bild des sterbenden Jean-Paul Marat, sein muskulöser Körper, der Messerstich unterhalb seines Schlüsselbeins. Levic schien ähnlich muskulös zu sein. Nur dass er nicht, wie Marat, in der Badewanne lag und einen Turban trug. Das war gut, denn sie wollte kein bekanntes Kunstwerk kopieren. Sie wollte ihr eigenes schaffen.
» Der Mitläufer « .
So würde die Bildunterschrift lauten. Der Mitläufer. Der Titel gefiel ihr. Obwohl sie nicht genau wusste, ob Levic tatsächlich nur ein Mitläufer oder selber eine treibende Kraft in dem bösen Spiel gewesen war.
Während sie in der Küche nach Putzhandschuhen suchte, überlegte sie, wie sie ihr Kunstwerk diesmal gestalten sollte. Wie sah ein Mitläufer aus? Sie kannte Gerhard Levic nur oberflächlich. Dennoch kam er ihr vor wie ein Teufel mit Engelsmaske. Man musste schon hinter die Fassade blicken, um zu erkennen, dass er eine perfekte Mischung aus Raffinesse, Hartherzigkeit und vorgetäuschter Freundlichkeit war.
Sie fand gelbe Gummihandschuhe. Putzmittel standen unter der Spüle in der Küche ordentlich aufgereiht. Sie nahm zwei Plastikflaschen, ging zurück, drehte ihn auf den Rücken, musste aufpassen, um nicht in das Blut zu steigen, das sich langsam wie ein kleiner See um ihn herum ausgebreitet hatte. Sollte sie seine Arme auf der Brust überkreuzen? Sah so ein Mitläufer aus?
Sie beugte sich über ihn und betrachtete sein Gesicht. Die Augen waren halb geöffnet, am rechten Nasenflügel klebte helles Puder. Sie hatte ihn erwischt, als er gerade die erste Line nehmen wollte. Sie sah zum Tisch. Die zweite Line war unangetastet. Er hatte keine Zeit mehr gehabt, den Betrug zu bemerken, dass er lediglich Gesichtspuder schnupfte. Sie wischte ihm mit einem feuchten Tuch den Puder von der Nase, wusch ihm das Gesicht und schloss ihm mit einer Hand die Augen. Dann bewegte sie seinen Kopf ein wenig seitlich und zugleich nach vorne. Als würde er ihn neigen.
Unterwürfig.
So sahen Mitläufer aus.
Sollte sie die Wohnung nach Kokain durchsuchen, um es über ihm zu verteilen?
Sie fand jedoch kein Koks, sondern nur ein Scheuermittel in Form kleiner Körnchen. Aber das war ihr egal, es ging um die Symbolik, um die Aktion an und für sich. Das Ausstreuen über dem leblosen Körper und die Farbe des Pulvers waren wichtig. Sie stellte sich über ihn und verteilte den Inhalt über seinen toten Körper. Das geschulte Auge der Polizei würde schnell erkennen, dass es sich hier nicht um Drogen handelte. Aber sie hoffte, dass die Botschaft dahinter verstanden und die Zusammenhänge erkannt würden.
Als sie die Wohnung gereinigt hatte, stopfte sie das Glas, aus dem sie getrunken hatte, in die Umhängetasche, nahm Oskar Brands iPhone aus ihrer Tasche, fotografierte Levic und schickte Mario Kaiser ein totes Gesicht.
22
MARIO KAISER
M ario Kaiser stand hinter der Bar, zapfte Bier, goss Sekt und andere Getränke in Gläser und hoffte, dass Jenny nicht allzu lange krank sein würde. Ihm fehlte inzwischen die Routine. Er brauchte viel zu lange, um die Drinks, die Anna orderte, vorzubereiten und gleichzeitig die Leute an der Bar bei Trinklaune zu halten. Jenny konnte das längst besser als er. Nur die beiden fülligen Freundinnen, die heute Abend ohne Männerbegleitung ihren Champagner tranken, fanden, dass Mario sich gut hinter der Bar machte.
Die beiden hatten ein Auge auf einen
Weitere Kostenlose Bücher