Sarahs Moerder
Caputo. Außer donnerstags, da hatte sie ihren freien Tag, machte sie an den anderen Tagen eine Stunde Pause. Und wie ich mir gedacht hatte, war das zwischen drei und vier.
Jetzt war es eine Minute nach drei.
Ich biss nochmal in meinen Panino und sah, wie die Haustür aufging. Die Philippinin kam raus und ging in Richtung Via Posillipo. Ich legte den Panino auf den Sitz, stieg aus dem Cinquecento und folgte ihr. Sie lief trotz der Hitze schnell und schaute sich nicht um. Ich musste fast rennen, um sie einzuholen, und fing an zu schwitzen. Als ich zwei, drei Meter hinter ihr war, rief ich sie.
»Signora Martinez!«
Sie drehte sich um, sah die Uniform und wurde sofort unruhig. Ich weiß nicht, ob es nur die Uniform war oder ob sie sich auch an mein Gesicht erinnerte und wusste, wer ich war.
»Was willst du? Ich haben nichts getan.«
»Signora, keine Sorge, ich wollte Ihnen nur ein paar Fragen stellen.«
»Ich nichts wissen.« Sie stellte sich stur.
»Das stimmt nicht, Signora. Sie haben was gesehen, was mit dem ermordeten Mädchen zu tun hat, und haben es der Polizei nicht gesagt. Dafür wandert man nach Poggioreale, das wissen Sie doch, oder?«
»Wo?«
»In den Knast!«
Ich machte extra auf hart, damit wir schneller zur Sache kamen.
»Ich nichts sehen, nichts wissen.«
Sie wollte verschwinden, als ob sie das nichts anginge.
Ich hielt sie am Arm fest.
»Halt.«
Sie blieb stehen und senkte den Kopf. Ich hatte den Eindruck, dass sie ein bisschen zitterte und Angst bekommen hatte.
»Zwei Möglichkeiten, Signora Martinez. Entweder reden Sie freiwillig, und Ihnen passiert nichts. Oder ich verhafte Sie, dann schauen wir mal, wie’s weitergeht. Sie können sich das aussuchen.«
Sie brauchte einen Moment, bevor sie sich entschied, was besser für sie war, und guckte mich ein paar Mal an, um rauszufinden, ob sie mir trauen konnte. Dann schaute sie sich um, um sicherzugehen, dass sie niemand sah.
»Okay, aber hier nix können reden.«
»Und wo sollen wir hingehen?«
»Du die Straße da gehen bis zur Bahn. Dort Olio e Vino.«
»Was ist da?«
»Olio e Vino. Essen.«
»Vini e Oli, die Trattoria?«
»In zwanzig Minuten.«
»Gut, in zwanzig Minuten in der Trattoria. Aber wenn Sie nicht da sind …«
Ich hob drohend den Finger.
»Ich kommen sicher«, sagte sie und rannte beinahe weg.
Zwanzig Minuten später ging ich in die Trattoria. Die Hitze war unerträglich, und es roch nach Gebratenem. An den Wänden waren feuchte Stellen und ein paar Fotos von Neapel aus der Zeit des ersten Meisterschaftstitels. Außer einem, der grade fertig war mit Essen und seinen Kaffee trank, war es leer. Die Philippinin hatte sich in die hinterste Ecke gesetzt, wo man für sich war. Der Besitzer war alt und saß rauchend vor dem Ventilator. Eine alte Frau räumte ohne Eile auf und blieb dauernd stehen, um sich das Gesicht an ihrem Kittel abzutrocknen.
»Küche ist zu«, sagte der Besitzer, als ich reinkam.
»Ich nehm nur ’nen Kaffee«, antwortete ich.
Dann setzte ich mich neben die Philippinin und fragte sie, ob wir uns nicht draußen hinsetzen könnten, wo es nicht so heiß war, aber sie wollte nicht.
»Na gut, dann eben Sauna«, sagte ich. »Können Sie hier wenigstens sprechen?«
Die Philippinin gab mir ein Zeichen, leiser zu reden. Obwohl sich keiner um sie scherte, flüsterte sie, aus Angst, jemand könnte sie hören.
»Seit drei Jahren ich arbeiten bei Familie Caputo im Haus. Sind gute Leute. Er Architekt, sie haben Geschäft. Haben drei Kinder.«
»Das wissen wir schon, Signora. Sie sollen uns sagen, was sie über das tote Mädchen wissen, Sarah Lo Russo.«
»Ja, Mädchen tot, verstanden«, sagte sie.
Aber sie machte keine Anstalten zu reden.
»Signora Martinez, wollen wir hier bis morgen früh rumsitzen?«
Endlich war sie so weit.
»Ich bin nach Hause gekommen, war fünf vor vier.«
»Wissen Sie die Uhrzeit genau?«
»Genau. Ich gucken auf Uhr. Muss um vier da sein, wenn ich kommen später, Architekt mich bestrafen.«
»Er bestraft Sie, wenn Sie zu spät kommen?«
»Freier Tag weg.«
»Ach so. Reden Sie weiter.«
»Um fünf vor vier ich gehen in Haus. Sehen dieses Mädchen, liegt neben der Treppe.«
»Sie kannten das Mädchen, oder?«
»Nur grüßen, wenn ich sie sehen. Guten Tag, auf Wiedersehen. Nur grüßen.«
Der Besitzer kam mit dem Kaffee. Ich bezahlte und wartete, bis er weg war.
»Sie haben also Sarah auf dem Boden liegen sehen. Und dann?«
»Gesehen, aber nicht wissen, wer das war.
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