Sarg niemals nie
Friedhof treibt sich ein Vampirjäger herum.« Vor Angst rissen sie die Augen auf. »Ihr wollt doch nicht, dass er euch findet, oder?« Sie schüttelten die Köpfe. »Dann verhaltet euch still.« Ich stand auf. »Lasst uns gehen.«
John hatte den Sarg geöffnet und beförderte Gwen hinein. »Bereit«, sagte er.
»Dann sollten wir uns so weit wie möglich entfernen.« Ich setzte einen Fuß vor den anderen, hielt inne und warf Mary einen misstrauischen Blick zu. »Sind das da Leichenteile in Ihrem Beutel?«
Mary lächelte verlegen.
Ich seufzte. »Na gut. Lasst uns aufbrechen! Solange wir keine Blutspur hinter uns herziehen oder Finger und Zehen verlieren, soll es mir recht sein.«
Mary lebte in einer Wohnung mitten in der Stadt. Da mich die Meute und die Wachtmeister aber anderswo suchten, schlichen wir unbemerkt durch die dunklen Straßen. Der Sarg war mittlerweile noch schwerer als zuvor, denn nun enthielt er außer Erde auch eine Frau. Ich beschloss, mit Gwen ein ernsthaftes Gespräch über ihr Gewicht zu führen, sobald sie wieder zu sich gekommen wäre.
Mary führte uns durch eine gewundene schmale Gasse bis zur Hintertür ihres Wohnhauses. Nachdem sie die Tür entriegelt hatte, ging es allerdings nach unten undnicht hinauf. Kalte Luft wehte von der Kellertreppe herauf, und ein eisiger Wind fuhr uns entgegen, sobald sie die Innentür aufgeschlossen hatte.
»Vorsicht!«, warnte Mary uns. »Hier ist es ein wenig glitschig.«
Wir tappten blindlings durch den dunklen, eiskalten Raum und warteten, bis Mary Streichhölzer gefunden und eine kleine Lampe angezündet hatte. Die Szene, die wir vor Augen hatten, sobald es hell wurde, war grotesker als alles, was ich je gesehen hatte. Ringsum waren große Eisblöcke an den Wänden aufgestapelt, und auf Tischen, Regalen, in Haufen und an Haken aufgehängt lagerte eine Sammlung abgetrennter, steif gefrorener Körperteile. Links von mir krümmten sich Hände auf unnatürliche Weise, rechts ragte ein Haarbüschel aus einem Fass heraus, dessen Deckel ich lieber nicht weiter anhob.
Am schrecklichsten aber war der halbe Körper auf dem Tisch in der Mitte des Raums. Grobe Nähte wie bei einer Quiltdecke zogen sich über die Haut. Wenn ich von einem halben Körper spreche, dann soll dies nicht heißen, es sei ein ganzer Mensch gewesen, den man in der Mitte aufgetrennt hatte. Vielmehr muss man sich ein Durcheinander aus brandigen Körperteilen vorstellen, die ein Irrer oder eine Irre zusammengestückelt hatte, wobei hier und dort noch eine Menge fehlte. Ich wandte mich ab und schloss die Augen, so fest ich konnte. Dieses Bild würde nie mehr aus meiner Erinnerung verschwinden.
Unterdessen hörte ich, wie Mary hinter uns die Tür schloss, absperrte und nicht weniger als vier Riegel vorlegte.
»Die Vermieterin hält mich für eine Metzgersfrau«, erklärte sie. »Es nähme mich aber nicht wunder, wenn sie allmählich misstrauisch würde. Letzten Dienstag habe ich einen Sack Beine angeschleppt, aber mir fehlt ein Zeh, und ich fürchte, sie hat ihn gefunden.«
Sie hielt inne, doch weder John noch ich waren in der Lage, irgendetwas zu erwidern.
»Ach, nun hören Sie schon auf!« Sie durchquerte den Raum. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich Körperteile sammle, und Sie wollten die Sammlung sehen. Was haben Sie erwartet?« Mit leisem Gepolter fiel etwas zu Boden, als hätte jemand etwas von einem Tisch gestoßen. Ich brachte es nicht über mich, genauer hinzusehen.
»Zu meinem Bedauern kann ich nicht genau erklären, was ich erwartet habe«, sagte ich, ohne die Augen zu öffnen. »Körperteile wären ja gar nicht so schlimm, aber hier stehe ich in einem Raum voller Wunden und Schnitte. Das ist etwas ganz anderes.«
»Sie sind mir schöne Grabräuber«, zischte Mary verächtlich. »Was gedenken Sie denn zu tun, wenn Sie die Leiche gefunden haben, nach der Sie suchen?«
»Beten, dass sie unversehrt ist«, erwiderte ich. »Können … können wir uns umsehen?«
»Daraus wird nichts, solange Sie die Augen geschlossen halten.«
»Das trifft wohl zu«, erwiderte ich und öffnete das rechte Auge einen Spaltbreit. Nachdem ich nicht auf der Stelle das Bewusstsein verlor, wagte ich das Auge ganz zu öffnen. Als ich immer noch nicht ohnmächtig wurde, öffnete ich auch das linke Auge und linste vorsichtig umher. »John«, bat ich leise, »stell den Sarg ab!«
John rührte sich nicht.
»John, es ist gut, du kannst die Augen öffnen.«
»Sie sind offen«, erklärte Mary mit
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