Sarg niemals nie
erklärte ich. »Keiner von ihnen hielt sich auf einem Friedhof auf oder schleppte einen Sarg voller Erde mit sich herum.«
»Trotzdem«, überlegte Mary, »ist es gar keine so schlechte Angewohnheit, alle Leute zu fragen, ob sie Vampire sind. Heutzutage kann man rein gar nichts mehr glauben.«
»Jetzt ist der Wahnsinnspegel für dieses Gespräch endgültig überschritten. John, bist du mit der grässlichen Beschäftigung fertig, der du dich da gewidmet hast?«
»Beinahe.« Er untersuchte verschiedene Organe. »Ich versuche sie in die richtige Ordnung zu bringen, damit Mary sie nur noch zusammennähen und den ganzen Schwung in den Körper kippen kann. Leider fällt mir beim besten Willen nicht ein, welche Funktion dieses Teil erfüllt.« Er hielt einen großen braunen Lappen hoch. »Ich könnte schwören, es ist eine Leber, aber er hat schon eine, deren Größe zudem viel besser passt.«
»Oh, Sie haben sie gefunden!« Mary entriss John den Klumpen. »Das ist die Kalbsleber, die ich fürs Essen am letzten Sonntag gekauft hatte. Sie war seitdem spurlos verschwunden. Vielen Dank!« Sie hauchte John einen Kuss auf die Wange und lächelte glücklich über den Fund.
»Wir können leider nicht warten, bis Sie uns die Leber zubereitet haben. Von Harry fehlt hier jede Spur, und auf uns wartet das Leichenhaus. Wenn wir uns beeilen, gelangen wir rasch hinein und können es durchsuchen, um noch vor dem Morgengrauen wieder zu verschwinden.«
»Ausgezeichneter Plan«, stimmte Mary zu. »Außerdem müssen wir Gwen wegschaffen, ehe sie noch einmal aufwacht. Noch so ein Schrei, und die Polizei rückt an. Oder meine Vermieterin steht vor der Tür.«
»Es wird ihr sicher nicht gefallen, in einem Leichenhaus aufzuwachen«, gab John zu bedenken.
»Nein«, erwiderte Mary. »Aber wenigstens ist meine Vermieterin noch nicht dort.«
»Was Sie sich auch ausdenken mögen«, sagte ich, »tun Sie es nicht. Und bitte waschen Sie die Leber ab, ehe Sie sie braten. Sie wissen nicht, wo sie vorher gelegen hat. Vielmehr wissen Sie es allzu genau.«
Bevor wir gingen, wuschen wir uns die Hände in einem kleinen Becken in der Ecke, anschließend hoben John und ich den Sarg auf. Mary führte uns die Treppe hinauf und schloss hinter uns ab, dann schlichen wir durch ein aufziehendes Gewitter zum Leichenhaus.
Noch bevor wir ankamen, bemerkten wir den Gestank des Todes, der mit jedem Schritt auf der Straße stärker wurde. Das Leichenhaus selbst war dunkel und bedrohlich.Mit den schroffen Mauern und den schmalen Fenstern wirkte es wie eine mittelalterliche Festung. Als wir uns der Hintertür näherten, verwandelte jeder Blitz das Gebäude für einen Moment in die Burg des Todes, in der Horden von Zombies herrschten. Danach schüttelte ich das Bild wieder ab und tappte verbissen weiter. Als Mary vor der Eingangstür angekommen war, zückte sie zu meiner Überraschung einen Schlüssel.
»Sie haben einen Schlüssel zum Leichenhaus?«, staunte ich.
»Ich bin seit Kurzem mit einem Mitarbeiter bekannt«, antwortete sie. »Sie glauben gar nicht, was die Leute einem alles überlassen, wenn sie mit ihren Gedanken woanders sind.«
»Soll ich jetzt fragen, woran er gedacht hat?«
»Es ist offen«, sagte Mary, als das Schloss klickte. John und ich folgten ihr mit Gwen und dem Sarg ins Innere des Gebäudes. Sobald die Tür hinter uns wieder abgeschlossen war, holte Mary ihre Lampe hervor und führte uns durch das Haus. Zu meiner Überraschung bestand es eigentlich nur aus einem einzigen großen Raum mit Regalen und Kisten, in denen die Toten lagen, und mehreren Leichenhaufen, die erst noch sortiert werden mussten.
»Stell ihn hier ab!«, wies ich John an. Wir hievten den Sarg auf einen kleinen Handwagen und schüttelten den Regen aus den Mänteln, zogen sie aber nicht aus, weil es in dem großen Lagerhaus sehr kalt war. »Wenn wir getrennt suchen, sparen wir uns viel Zeit. Keiner von euch weiß, wie Harry aussieht, also sucht nach alten Männern und ruft mich, wenn ihr eine entsprechende Leiche findet.« Mary zündete für uns zwei weitere Lampenan, dann machten wir uns an die Arbeit. Ich übernahm die Regale, John und Mary untersuchten die Leichenhaufen. Nicht einmal die sortierten Toten waren beschriftet, und da man sie nicht präpariert hatte, war der Gestank bestialisch. Ich hielt mir die Nase zu und begutachtete nacheinander die Körper.
Nach etwa fünfzehn Minuten, John war längst wieder abgelenkt und schrieb sich Reime auf das Hemd, rief Mary
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