Sarg niemals nie
deiner auch nicht habhaft wurde, fassten wir uns ein Herz – nicht wörtlich, obwohl wir uns größte Mühe gaben – und kamen zu dem Schluss, dass du noch am Lebenseist. Vielleicht nicht am Leben, aber doch wenigstens am Unleben, wenn ich das so sagen darf. Und außerdem …«
»Komm zum Ende!«, forderte ich ihn auf.
»Vor dem Morgengrauen sahen wir, wie eine Kutsche die Stadt verließ. Ein Toter schaute zum Fenster heraus. Der da.« Er deutete auf Gustav. »Da wussten wir, dass du wegfuhrst.«
»Im Allgemeinen pflege ich die Köpfe von Toten nicht aus Kutschenfenstern zu halten«, widersprach ich.
»Wir wussten, dass es jemand sein musste, der seine Zeit gern auf Friedhöfen verbringt«, fuhr Schwarz fort. »Jemand, der nur des Nachts reist und gelegentlich Tote befördert. Da kamen nicht allzu viele infrage.«
»Das erklärt immer noch nicht, warum ihr es für nötig hieltet, mir zu folgen«, entgegnete ich. »Ich habe euch doch deutlich genug gesagt, dass ihr mich in Ruhe lassen sollt.«
»Du bist der Erhabene«, widersprach Schwarz. »Wem sollten wir folgen, wenn nicht dir? Wer sollte uns sonst Befehle erteilen?«
»Ich habe euch lediglich den Befehl erteilt, mir vom Hals zu bleiben, und den habt ihr immer wieder missachtet.«
»Bitte!«, flehte Schwarz. »Wir sehnen uns danach, dir zu dienen. Was können wir tun, um deine Gunst zurückzugewinnen?«
»Nichts«, antwortete ich. »Ich habe euch nie irgendeine Gunst gewährt. Aber wenn ihr euch wirklich nützlich machen wollt … habt ihr Ketten?«
Schwarz sah sich in dem Raum um, betrachtete die Gefährten mit den Kapuzen und wandte sich wieder an mich. »Ich fürchte, die haben wir nicht, Erhabener.«
»Seile vielleicht?«
»Wir haben Lumpen«, bot er hilfsbereit an. »Wir könnten sie zusammenknüpfen.«
In diesem Moment hallte ein fernes Klopfen durch das Bestattungsunternehmen.
»Die Vordertür.« Ebenso langsam wie methodisch zog Spilsbury die Uhr aus der Tasche. »Es ist noch nicht vier Uhr, sie kommen zu früh.«
»Natürlich kommen sie zu früh.« Ich war schon zur Treppe unterwegs. »Sonst wäre es ja allzu einfach.«
»Wie viel Seil brauchst du?«, fragte Schwarz.
»Genug, um den da zu fesseln.« Ich deutete auf Gustav. »Und vergesst den Knebel nicht!«
»Selbstverständlich, Erhabener.«
»Sorgt dafür, dass er ruhig ist und außer Sicht bleibt«, fuhr ich fort. »Das gilt übrigens für euch alle. Eine Stunde Schweigen – schafft ihr das?«
Wieder klopfte es.
»Selbstverständlich, Erhabener«, versicherte mir Schwarz.
Ich wandte mich um und stieg die Treppe hinauf. Mary, John und Spilsbury folgten mir. Unser umgekippter Sarg lag auf dem Boden, wie wir ihn hinterlassen hatten, an der Rückwand des Raums stand eine Reihe weiterer Särge.
»Mary, Sie nageln den Sarg wieder zu. John, wie wird die Totenrede?«
»Wundervoll«, erklärte John und setzte sich gleich wieder nieder, um die Dichtung zu vollenden.
Abermals klopfte es. Ich ging zu einer reich beschnitzten Tür und öffnete sie entschlossen, nur um festzustellen, dass ich nicht im Flur stand.
»Das ist gar nicht der Flur!«, stieß ich ausgesprochen gereizt hervor.
»Das ist die Kapelle«, erklärte Spilsbury. Er schob mich zur Seite, um seinen mächtigen Körper durch die Tür zu quetschen. »Hier finden die Trauerfeiern statt.«
Als sich meine Augen an das schwache Licht gewöhnt hatten, erkannte ich Stuhlreihen und ganz vorn einen niedrigen Tisch sowie eine kleine Bühne, alles sehr schlicht, aber durchaus edel gehalten. Die Fenster hinter dem Podium waren mit schweren Vorhängen verdeckt und blickten nach Westen, wenn ich die Lage des Hauses richtig in Erinnerung hatte. Also war dies die der Straße zugewandte Frontseite des Hauses.
»Öffnen Sie die Vorhänge!«, befahl ich sogleich. »Treffen Sie alle Vorbereitungen.«
»Aber, Sir«, erwiderte Spilsbury vorwurfsvoll, »die Sonne ist noch nicht untergegangen, und ich bin … ein wandelnder Untoter …«
»Dann zünden Sie die Lampen an!«, verlangte ich. »Und sagen Sie mir, wie ich zur Vordertür komme.«
»Hinter Ihnen durch den Vorbereitungsraum oder gleich von hier aus.« Spilsbury deutete auf eine Tür neben den Fenstern. »Auf beiden Wegen gelangen Sie zum Flur.«
»Ich hielt das für eine Schranktür«, erwiderte ich.
»Es tut mir ausgesprochen leid, dass dem nicht so ist, mein Gebieter.«
»Nennen Sie mich nicht so!« Ich eilte zur Tür und lief durch den Flur bis zur Eingangshalle. Dabei kam ich
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