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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Menge bestand größtenteils aus freien Bauern und ihren Familien. Port gegenüber standen drei ältere Männer als Zeugen des Urteilsspruchs. Die Leitung des Verfahrens hatte Earldorman Wulfhere, ein königlicher Gefolgsmann, ein großer, graubärtiger Mann, dessen vernarbtes Gesicht die Spuren eines zu guten Lebens trug. Die Knollennase gab ihm ein fast brutales Aussehen. Da die heutige Angelegenheit vielleicht Bußgeld an den Statthalter des Königs nach sich zog, war seine Anwesenheit in dieser Eigenschaft wichtig. Nun, da Port seine Anklage vorgebracht hatte, konnte das Gericht zum Verhör übergehen.
    Damit folgte es dem traditionellen angelsächsischen Verfahren: Es gab keine Advokaten, keine Jury und keine Beweisführung. Es kam allein auf das Ausmaß der Verwundung an; eine Hand war eingebüßt worden, doch nicht der ganze Unterarm. Das war ausschlaggebend.
    Auf ein Zeichen des Earldorman legte Port den Verband wieder an. »Hast du sonst noch eine Verletzung?«
    Port schüttelte den Kopf.
    Er war zwei Wochen zuvor auf diesem Marktplatz verwundet worden. Sigewulf, ein eingesessener Bauer, hatte sein Pferd auf der Straße umherlaufen lassen, während er in einer Marktbude etwas trank. Als er in der Dämmerung herauswankte, sah er, wie Port sein Pferd gerade an einem Pfosten anbinden wollte, und betrunken, wie er war, glaubte er, der Kerl wolle sein Tier stehlen. Wütend torkelte er auf Port zu. Es gab ein Handgemenge. Sigewulf zog sein Schwert und fuchtelte wild damit umher, und als Port seinen Arm hob, geschah das Unglück. Nun war die Reihe an Sigewulf, seine Geschichte zu erzählen. Er war ein kleiner, untersetzter Mann, dessen mürrische Art nicht eben vertrauenerweckend wirkte.
    »Port griff mich an«, sagte er, »es war Notwehr. Er versuchte mein Pferd zu stehlen.«
    Die Verhandlung hatte ihren kritischen Punkt erreicht. Nun mußten die Zeugen gehört werden. Auf ein Zeichen von Port traten drei Männer in den Kreis, gaben Namen und Stellung bekannt – es waren freie Kleinbauern.
    »Ich schwöre bei Christi Blut«, sagte einer nach dem anderen, »daß Ports Anklage wahr ist.«
    Unmittelbar darauf traten drei andere Bauern vor und schworen etwas Ähnliches zu Sigewulfs Gunsten.
    Der Eid eines Sklaven galt nichts. Das Wort eines freien Bauern hatte Gewicht. Das Wort eines Thans – eines Gefolgsmannes des Königs – oder eines Edelmannes wog mehr als das noch so vieler Bauern. Das Wort des Königs war natürlich über jeden Zweifel erhaben. Nun trat eine auffallende Gestalt in den Kreis, ein großer gutgewachsener Mann in den Vierzigern. Er hatte mit einigen jungen Männern und einem Mädchen – alle blond und schön und offenbar seine Kinder – beiseite gestanden. Er selbst trug eine lässige Überlegenheit zur Schau. Als er nach vorn trat, sah Sigewulf betrübt drein.
    »Aelfwald, der Than«, stellte er sich vor. »Ich schwöre, daß Ports Aussage der Wahrheit entspricht.«
    Kein Than trat für Sigewulf vor. Der Fall war damit entschieden. Wulfhere blickte zu den drei älteren Männern hin. »Die Entscheidung ist für Port gefallen«, sagten sie übereinstimmend, ohne zu zögern.
    »So sei es«, sagte Wulfhere und verkündete das Urteil: »Für seine Hand wird das Wergeld bezahlt. Sein Herr wird entsprechend entschädigt.« Keine Gesetzesklausel war wichtiger als der alte Kodex des Wergeldes.
    Durch diese Verfügung wußte jeder Angelsachse und auch jeder Angehörige eines anderen germanischen und skandinavischen Volkes, wie hoch der materielle Wert seines Lebens eingeschätzt wurde – er hing von seinem Rang ab.
    Das Leben eines freien Bauern war zweihundert Schillinge wert und das eines Thans wie Aelfwald sechsmal soviel. Der Preis für eine verursachte Verletzung wie der Verlust einer Hand oder eines Beines wurde entsprechend angesetzt. Deshalb mußte Port seine Verletzung bei Gericht vorzeigen; beim Verlust des ganzen Unterarms hätte Sigewulf mehr bezahlen müssen. Das Wergeld war eine von König Alfred angeregte variable Klausel zur Beilegung kostspieliger Fehden.
    Die Verhandlung war eine kommunale, von freien Männern durchgeführte Angelegenheit. Das Urteil wurde nicht ohne weiteres vom Earldorman Wulfhere verkündet, sondern die drei alten, mit dem Gesetz vertrauten Bauern mußten im Namen der Gemeinde zustimmen und es bezeugen.
    Nach erfolgtem Urteilsspruch mußte Sigewulfs Familie Port und dessen Familie entschädigen, und da Aelfwald Ports Herr war, erhielt auch er eine

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