Sarum
als ob die Wellen traurig gegen die nahe walisische Küste schlugen. Vielleicht lag es auch nur an seiner Stimmung.
Der scharfe salzige Wind blies durch die Zeltritzen und brachte die Öllampe zum Flackern. Doch der junge Römer, der reglos auf dem Feldstuhl saß, ließ sich davon nicht beirren. Er fuhr sich mit der Hand durch die schwarze Lockenmähne, die er in seinem einundzwanzigjährigen Leben nie hatte bändigen können. Auf einem Blatt Pergament schrieb er langsam und sorgfältig den gefährlichen Gedanken nieder, der ihn in den letzten Monaten nie mehr losgelassen hatte.
Ganz unter uns, mein lieber Vater: Ich glaube, daß wir die Insel unklug verwalten und daß es zu Unruhen kommen wird. Das ist die Schuld des Statthalters.
Nachdem er dies geschrieben hatte, überlegte er. War es klug, solche Gedanken in einem Brief zu äußern, der den langen Weg bis zu seinem Familiengut in Südostgallien zurücklegen mußte und der möglicherweise von Spionen geöffnet wurde? Er gehörte – dank des Einflusses seines zukünftigen Schwiegervaters – zum Stab des Statthalters. Konnte man ihn nicht des Verrats anklagen? Er schüttelte traurig den Kopf, legte das Pergament beiseite und kehrte zu dem unverfänglichen Bericht zurück, den er zuvor begonnen hatte.
Vor zwei Tagen, liebe Eltern, vernichteten wir die letzten Druiden – eine seltsame Geschichte! Sie hatten sich mit ihren Anhängern auf einer kleinen Insel namens Mona an der Westküste Britanniens gesammelt.
Der Statthalter war entschlossen, ihnen den Garaus zu machen. Deshalb bereiteten wir uns mit der ganzen XIV. Legion und einem Großteil der XX. Legion auf die Überquerung der Meerenge vor. Die ganze gegenüberliegende Küste entlang hatten sie Feuer angezündet. Die Infanterie setzte in Booten über, und die Reiter schwammen auf den Pferden hinüber. Die Druiden kämpften tapfer, aber schließlich mußten sie sich ergeben. Unsere eigenen Verluste waren gering.
Seine Hand ruhte. Dieser Bericht konnte seiner Mutter und seinen beiden Schwestern ohne weiteres vorgelesen werden. Die Wirklichkeit hatte ganz anders ausgesehen.
Die Schlacht war schrecklicher als jeder böse Traum gewesen. Die gut ausgebildeten römischen Truppen schlugen sich ihre Bresche durch die Horde der Eingeborenen. Männer, Frauen und Priester wurden mit den kurzen römischen Schwertern aufs fürchterlichste hingemordet. Im seichten Gewässer trieben Leichen, die Brandung war rot vom Blut. Nach dem Kampf beobachtete der junge Krieger, wie zwei alte zahnlose Druiden in zerfetzten Gewändern, immer noch sinnlos fluchend, in einem ihrer hölzernen Opferkäfige zusammengebunden und angezündet wurden.
»Das machen sie mit ihren eigenen Leuten«, schrie ein Soldat. Der junge Mann wußte, daß dies nicht stimmte: Die keltischen Priester sahen diesen grausamen Tod nur für Verbrecher vor; aber nach einem Sieg diskutiert man nicht mit Soldaten. Die beiden alten Männer starben qualvoll, während die Römer ihren Spaß daran hatten. Er kehrte zu seinem Brief zurück und verbannte die Szenen aus seinen Gedanken.
Ich glaube, der Statthalter möchte in ein paar Tagen in die neue Stadt Londinium zurückkehren, und ich werde Euch demnächst sicher von dort schreiben.
Wie dankbar bin ich, meine lieben Eltern, daß Gracchus, der Senator, den ich bald meinen Schwiegervater nennen darf, es mir ermöglicht hat, all dies zu erleben und mich hoffentlich auf irgendeine Weise hervorzutun.
Was meine liebe Lydia anbelangt, so denke ich jede Stunde an sie und zähle die Tage, bis ich sie wieder in der kaiserlichen Stadt sehen darf.
Euer Sohn
Caius Porteus Maximus
Porteus seufzte. Wann würde es soweit sein? Vielleicht in einem Jahr. Er dachte innig an Lydia, wie sie mit ihm scherzte und lachte: Es war wie ein ferner Sonnenstrahl an diesem kalten Ort im Norden.
Die Tatsache, daß Lydia ihm überhaupt versprochen war, war bemerkenswert. Sie war die dritte Tochter von Gracchus, einem mächtigen Senator aus alter Familie, während er dem Provinzadel angehörte, der zum zweiten, dem Ritterstand der römischen Gesellschaft zählte – durchaus anerkannt, berechtigt, eine zivile oder militärische Laufbahn einzuschlagen und nach hohen Ämtern zu streben, aber kaum eine gute Partie für die Tochter eines großen Aristokraten. Unter normalen Umständen wären sie einander nie begegnet; aber durch irgendeinen Glückszufall – ein entfernter Vetter war Beamter in Rom und hatte Porteus ins Haus des Senators
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