Sascha - Das Ende der Unschuld
wahrscheinlich wollte er es auch nicht, denn durch diesen seinen rabiaten Rundumschlag konnte er beginnen, sich zu sammeln und an seiner bevorstehenden Reaktion Stefanie gegenüber zu arbeiten. Vorerst wollte er noch eine tätliche Rache für das, was er erlitten hatte. Ihm fiel nichts anderes ein, als seine Frau dafür zu züchtigen und sie dann schnellstmöglich aus der Wohnung zu werfen. Immer wieder kompensierte er in Gedanken seine enttäuschten Gefühle mit Gewalt. Er wollte Stefanie weh tun, wie sie ihm weh getan hatte. Und immer wieder kam er an diesem Punkt an, der ihn davor warnte. Er durfte ihr nicht gleich wieder Macht über sich geben. Langsam wanderte er zurück zum Wagen. Aus heiterem Himmel fiel ihm Jimmy ein. Hatte dieser ihm nicht angeboten, zurückzukommen, sobald er seinen Irrtum bemerkt hatte? Nun, es war soweit, er hatte ihn bemerkt. Sascha schaute auf die Uhr. Das PASSION hatte noch nicht geöffnet, er würde Jimmy sicherlich in der Wohnung antreffen. Er hatte einen solch starken Wunsch, sich jemandem mitzuteilen und sich alles von der Seele zu reden, dass er nicht darüber nachdachte, mit welchen Worten er Jimmys Laden das letzte Mal verlassen hatte. Er fuhr in die Palmstraße und klingelte wenig später bei seinem Exfreund. Jimmy öffnete ziemlich verschlafen. Mit kleinen Augen betrachtete er Sascha, ohne ihn herein zu bitten.
„Was willst du denn hier?“
„Du hast gesagt, ich kann kommen, wenn das mit Stefanie in die Brüche geht.“
„Das war, bevor du uns Schwulen unterstellt hast, eigentlich Weiber sein zu wollen. Und auch, bevor du Hete des Jahres werden wolltest. Ich kann verstehen, dass jemand versucht, sich neu zu orientieren, selbst wenn es noch so blödsinnig ist. Aber man muss dabei nicht zum Nestbeschmutzer werden.“
„Ich weiß, ich habe viel Scheiße gelabert. Es war ein Irrtum, ich habe es eingesehen. Reicht es nicht, dass du Recht hattest und ich herkomme und es zugebe? Kann ich bitte reinkommen?“
„Oh dear, wirf jetzt nicht mir zuliebe Asche auf dein Haupt. So unrecht hattest du nicht, wir wissen alle, dass die Szene oberflächlich ist. Aber sie ist es, weil alle die gleichen Erfahrungen machen, weil sie Angst haben und nicht, weil Schwule von Natur aus so sind. Übrigens, nein. Du kannst nicht hereinkommen.“
Damit warf Jimmy die Tür ins Schloss und ließ den ziemlich konsternierten Sascha einfach stehen. Dieser überlegte kurz, ein weiteres Mal zu klingeln. Schließlich jedoch siegte sein Trotz. Dann eben nicht.
Wieder einmal wurde ihm bewusst, dass er niemanden hatte. Guido fiel ihm ein, aber nachdem er in einer Telefonzelle dessen Nummer gewählt und seine Stimme gehört hatte, legte er wortlos wieder auf. Er hatte Angst, auch von ihm eine Abfuhr zu bekommen, schließlich erinnerte er sich noch sehr gut, mit welchen Worten er ihm telefonisch den Laufpass gab. So machte sich auf den Heimweg, ohne dass er sein Bedürfnis, sich auszusprechen, hatte erfüllen können. Während der Fahrt überlegte er fieberhaft, wie er seinen Jähzorn in den Griff bekommen konnte, wenn Stefanie ihm in wenigen Minuten gegenüber stehen würde.
Doch so lange musste er gar nicht warten, schon vor der Wohnungstür kam er in Rage, er spürte sie in sich aufsteigen wie eine Lavaflut. So drehte er wieder um, wanderte eine Weile vor dem Haus auf und ab. Er musste es einfach schaffen, die Ruhe zu bewahren. Es war beinahe zwanzig Uhr, als er die Wohnungstür schließlich doch aufschloss. Er hörte Stimmen aus dem Schlafzimmer und begann zu beben. Dann stand er zuerst Sonja gegenüber und vermutete, nun würde er übergangslos ausflippen. Sie sagte:
„Wo warst du denn schon wieder? Denkst du nicht, es ist wenigstens jetzt deine Pflicht, an Stefanies Seite zu sein?“
Er schaute in ihre vorwurfsvolle, anklagende Miene und konnte plötzlich nur kalte Verachtung empfinden. Es kam Sascha zwar äußerst merkwürdig vor, dass seine Empörung sich nun schlagartig in greifbares Eis zu verwandeln schien, aber es war ihm natürlich recht. Es sah aus, als käme sein eigener Körper ihm in dieser Minute zu Hilfe. Er fühlte sich überlegen und wurde sich klar darüber, dass es eine Leichtigkeit sein würde, den Spieß jetzt schön langsam umzudrehen.
„Ich habe mich auf dem Weg von der Klinik hierher verfahren“, hörte er sich lässig antworten, dann ging er an der sprachlosen Sonja vorbei ins Schlafzimmer.
„Wo warst du denn so lange?“, empfing ihn seine Frau.
Trotz ihrer leidenden
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