Sascha - Das Ende der Unschuld
wen haben wir denn da?“
Die Stimme erreichte Saschas Ohr wie durch Watte.
„Zufälle sind schon toll. Ich denke, wir haben da noch einiges miteinander zu regeln.“
Schwerfällig hob Sascha den Kopf und bemühte sich desinteressiert, beinahe apathisch, sein Gegenüber zu fixieren. Er erkannte zwar die Umrisse, aber das war auch alles und als Nächstes wollte er aufstehen und einfach nur weggehen. Aber es fehlte ihm die Kraft dazu, deshalb blieb er schweigend und in sich zusammen gesunken sitzen.
„Hey – sag was. Du wirst die Zeit bei mir doch noch nicht vergessen haben.“
„Lass mich in Ruhe“, murmelte Sascha kaum verständlich, dann rutschte er von der Bank und wäre auf den Boden aufgeschlagen, wenn der andere ihn nicht aufgefangen hätte.
✵
Als Sascha die Augen öffnete, erkannte er eine weiß getünchte Decke über sich und hatte nicht die geringste Ahnung, wo er sich befand. Offenbar lag er nicht in einer Klinik, sondern in einem einfachen Zimmer. Die Einrichtung bestand aus abgenutzten Holzmöbeln, die Teppiche schienen ziemlich abgewetzt. Aber es war sauber, etwas, was Sascha trotz seines Zustandes sofort auffiel.
Angestrengt versuchte er, sich zu besinnen. Alles was ihm einfiel war sein beschwerlicher Weg zum Frankfurter Bahnhof. Ab dort fehlte ihm jede Erinnerung. Er glaubte jedoch, in Gefahr zu sein und rappelte sich stockend hoch. Sein Fluchtinstinkt war da und dieser trieb ihn zur Eile an. Er bemerkte, dass er nur eine fremde Unterhose trug und dass die Tür abgeschlossen war. Nicht schon wieder. Er ließ sich an der Wand abwärts rutschen und vergrub seinen Kopf zwischen den mageren, mit blauen Flecken übersäten Armen. Verdammt.
Er wusste nicht, wie lange er so da gesessen hatte, als er ein Geräusch jenseits der Tür vernahm. In Panik rappelte er sich hoch, sah hektisch im Zimmer umher. Er entdeckte nichts, mit dem er sich verteidigen konnte, so riss er die Nachttischschublade heraus, entleerte sie achtlos auf den Boden und stellte sich neben die Tür, das Holzteil zum Schlag bereit über seinem Kopf in den ausgestreckten Armen haltend.
Tatsächlich drehte sich ein Schlüssel im Schloss, Saschas Anspannung wuchs. Die Klinke bewegte sich abwärts, im nächsten Moment sah sich Sascha einer Person gegenüber und schlug zu. Er hatte das Überraschungsmoment scheinbar gut ausgenutzt, denn der andere ging ohne einen Ton zu Boden und blieb erst einmal regungslos und mit den Resten der Schublade um den Hals liegen.
Zitternd und ungeachtet seiner unvollständigen Kleidung wollte Sascha sich aus der jetzt offenen Tür drücken, als sein Blick auf das Gesicht des vermeintlichen Angreifers fiel. Mit den Splittern des zu Bruch gegangenen Sperrholzbodens der Schublade in den blond gefärbten Haaren erkannte er Marc. Dieser setzte sich gerade auf und schüttelte den Kopf.
„Kann es sein, dass du einen Karton Schrauben locker hast? Wenn das der Dank für gute Taten ist, wird mir klar, warum Mutter Theresa so verhutzelt und deprimiert aussieht.“
„Entschuldige, ich dachte, du wärst ...“, stammelte Sascha und wurde von Marc unterbrochen.
„Der Stricherterminator, ich weiß. Krieg dich mal wieder ein und schließ die Tür, du Kamel.“
Sascha kam der Aufforderung wortlos nach und wartete ab, bis Marc aufgestanden war und die Schublade von seinem Hals entfernt hatte. Der schaute sich das gesplitterte Loch an und sinnierte:
„Wenn das meine Vermieterin sieht, wird sie mir die Nase abbeißen. Ich hätte dich einfach am Bahnhof lassen sollen. Scheiße, Prinzessin. Kaum bist du da, gibt es wieder Ärger.“
Jetzt erst fiel Sascha auf, wie sehr Marc sich verändert hatte. Er trug keine Armeeklamotten mehr, sondern steckte in Jeans und T-Shirt. Seine Haare waren zwar noch immer blondiert, jedoch nicht kurz rasiert und ohne Leopardenmuster. Sie reichten Marc ein wenig strähnig bis auf die Schultern. Was Sascha jedoch am meisten verblüffte war, dass Marc beinahe so abgemagert war wie er selbst. Seine früher breiten Schultern wirkten schmal und gebeugt, die ehemals kräftigen Arme malten sich dünn unter dem langärmligen Shirt ab. Kurz, von Marcs kräftiger Burschikosität war augenscheinlich nichts weiter übrig geblieben als sein freches Mundwerk.
Sascha setzte sich aufs Bett, warf sich die Decke über und schlang die Arme um die Beine. Von unten herauf schaute er Marc an.
„Herzlichen Glückwunsch, deinen herzzerreißenden Blick hast du also noch“, zeterte Marc mit einer Menge
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