Sassinak
wußten, daß es Lunzie galt. Varian ruckte einmal kurz mit dem Kopf wie ein nervöser Vogel, aber Lunzie erwiderte mit gedehnter Stimme ihre Begrüßung und bot ihr einen festen Händedruck an.
Einen ausgedehnten Moment lang standen sie fast bewegungslos da, dann zog Lunzie ihre Hand zurück, und Sassinak spürte, wie eine emporsprudelnde Freude ihre letzte Besorgnis beseitigte. Sie hätte diese Frau als Schwester gemocht – wenn sie nicht ihre dreifache Urgroßmutter gewesen wäre. Und mußte unbedingt eine einfachere Art finden, ihr all das zu sagen. Sie hatten sich so viel zu sagen! Sass grinste und legte den Kopf schräg, und Lunzies Reaktion kam zu schnell, um ein Versuch einer Nachahmung zu sein – es war auch für sie eine natürliche Geste.
Von da an ging der Abend schnell von einem freudigen zu einem später legendären Ereignis über. Welche besondere Zusammensetzung dem Essen, den Getränken und der Abendgesellschaft auch immer seine besondere Wirkung verleihen mochte, sie regte Lunzie zu Wortspielen und Sassinak zum Vortrag längerer Abschnitte aus Kiplings Gedichten an. Sie bemerkte, als sie eine mitreißende Fassung von ›L’envoi‹ zum besten gegeben hatte, daß Lunzie ein nachdenkliches Gesicht machte. Im Nachhinein überlegte sie, hätte sie die Zeile »Am schnellsten reisen jene, die allein reisen« nicht so stark betonen sollen, nicht wenn sie gerade das einzige Mitglied ihrer Familie seit Myriad kennengelernt hatte. Sie grinste Lunzie an und hob ihr Glas.
»Es ist eine Art Flottenmotto«, erklärte sie. »Überzeuge die Jungen, daß sie sich von ihrer Heimat losreißen müssen, wenn sie die Sterne bereisen wollen …«
Lunzies Lächeln überspielte nicht die Traurigkeit in ihren Augen. »Und deine Familie, Sassinak? Wo bist du aufgewachsen?«
Es war ihr nie in den Sinn gekommen, daß Lunzie ihre Geschichte ja gar nicht kannte. Sie spürte eher, als daß sie sah, wie Ford plötzlich erstarrte, eine Gabel in Mayerds Hand auf halbem Weg zum Mund innehielt.
Seit Jahren hatte niemand mehr diese Frage gestellt. Die Flottenmitglieder wußten Bescheid, und die Flotte war ihre Familie. Sassinaks Atem beruhigte sich wieder, aber Lunzie war etwas aufgefallen; ihre Augen verrieten es.
»Meine Familie wurde umgebracht«, sagte sie mit einer so neutralen Stimme, wie es ihr nur möglich war. »Bei einem Überfall von Sklavenhändlern. Ich … ich wurde mitgenommen.«
Varian öffnete den Mund, aber Kai legte eine Hand auf ihre, und sie sagte nichts. Lunzie nickte, ohne den Blick abzuwenden.
»Sie wäre stolz auf dich gewesen«, sagte sie mit einer Stimme ohne jede Schärfe. »Ich bin es jedenfalls.«
Sassinak verlor fast wieder die Beherrschung. Es war so unverfroren, löste soviel Bitterkeit in ihr aus. Und zugleich strahlte aus diesen ruhigen Augen soviel unerschütterliche Liebe.
»Danke, Urururgroßmutter«, sagte Sass. Eine Pause folgte, dann sprang Ford mit einer unerhörten Geschichte über Sassinak als junge Offizierin auf dem Beuteschiff in die Bresche. Die anderen schoben ihre eigenen wilden Geschichten nach, offensichtlich in der Absicht, die Verlegenheit aller zu überspielen, während Sassinak ihre Gleichmut zurückgewann. Mayerd und Lunzie kannten aus der medizinischen Schule denselben vergnüglich zotigen Vers und gaben ihn mit einem nasalen Akzent zum besten, worauf sie alle in Lachen ausbrachen. Varian erzählte ebenso angeheitert von Vorfällen auf der Veterinärschule, und Kai klärte sie alle darüber auf, daß Geologen ihre eigene Art von Humor hatten.
Während sie gemütlich ihre Liköre tranken, wandle sich ihre Unterhaltung den Berichten zu, die Kai und Varian über die Meuterei abgefaßt hatten. Sassinak fiel auf, daß Kai sich nicht nur, als er die Rampe heraufgekommen war, besser bewegt hatte, sondern während des Essens auch weniger angespannt und aufnahmefähiger zu sein schien. Jetzt schilderte er die Einzelheiten der Meuterei in klaren, kurzen Sätzen. Mayerd hatte gesagt, sie habe mit einer besonderen Behandlung für ihn begonnen, aber hatte sie wirklich so schnell gewirkt? Oder war etwas anderes geschehen, das seine Zuversicht wieder hergestellt hatte?
Sie wurden von Leutnant Borander unterbrochen, der in Sassinaks Augen immer noch viel zu nervös in Gegenwart höherer Dienstränge war. Aber seine Neuigkeiten schlugen ein wie eine Bombe: der Schwerweltler-Frachter hatte einen Kommunikationskanal zur iretanischen Siedlung zu öffnen versucht und keine Antwort
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