Sassinak
geschlafen, in einer von vielen übereinandergestapelten Kojen.
Abe besaß ein Eckapartment im zweiten Stock mit zwei Schlafzimmern, einem Wohn-, einem Arbeitszimmer und einer kleinen Küche. Aus ihrem Zimmer sah Sass auf einen zentralen, mit Blumen und einem kleinen Baum mit welken Blättern bepflanzten Hof hinaus. Aus dem Wohnzimmer konnte sie über eine breite Straße auf ein ähnliches Gebäude gegenüber hinaussehen. Ihre Unterkunft kam ihr erstaunlich hell und geräumig vor; anfangs verbrachte sie Stunden damit, die Menschen unten auf der Straße zu beobachten oder über die Stadt hinauszusehen. Denn ihr Apartmentgebäude stand wie die meisten anderen auf einem der flachen Hügel gegenüber dem Hafen.
Regg selbst war ein terraformter Planet, anfangs von den üblichen Siedlern kolonialisiert, in diesem Fall Landwirtschaftsspezialisten, dann wegen seiner Position im menschlich dominierten Raum als Flottenhauptquartier ausgewählt worden. Hier in dieser zentralen Stadt war die Flotte die herrschende Kraft. Abe führte Sassinak herum: zum großen Kastenbau des Hauptquartiers selbst, der mit weißen Marmortafeln verkleidet war, zu den Parks am Fluß, die am großen natürlichen Hafen endeten, einer breiten, fast kreisrunden Bucht mit tiefblauem Wasser, die im Osten und Westen an graue Klippen grenzte und sich neben einer kleinen Felsinsel ins Meer dahinter öffnete. Eine sorgfältige Planung hatte die Flußmündung selbst unberührt gelassen, aber Sass sah, daß sowohl der Flotten- wie der zivile Hafen zu beiden Seiten ein Stück ins Land reichten. Obwohl die FES-Bestimmungen den Fleischverzehr verbaten, wurde auf vielen menschlich besiedelten Welten, die sich weniger streng an den Codex hielten, immer noch gefischt. Die vorgeschobene Entschuldigung lautete, daß der Codex sich nur auf Warmblüter und intelligente (nicht bloß empfindungsfähige) aquatische Kaltblüter wie Weber und Ssli bezog. Sass wußte, daß viele der örtlichen Zivilisten Fisch aßen, obwohl er nicht einmal in den schäbigsten Hafenspelunken offen serviert wurde. Die Fischart, ursprünglich altirdischer Herkunft, war vor Jahrhunderten in Reggs Ozean ausgesetzt worden.
Neben dem offiziellen Hauptquartierkomplex gab es die dazugehörigen Bürogebäude, Computerzentren, Technik- und Forschungsabteilungen, alle in einer landschaftlich reizvoll gestalteten Umgebung, denn Regg war nach all den Jahren immer noch unterbevölkert.
»Viele Flottenangehörige setzen sich hier zur Ruhe«, erklärte Abe, »aber die meisten siedeln im Inland oben am Fluß. Vielleicht können wir in den Ferien einmal eine Kreuzfahrt über den Fluß unternehmen und einige ihrer Grundstücke besichtigen. Ich habe oben in den Bergen auch ein paar Freunde.«
Aber die Stadt war für ein Mädchen, das in einer kleinen Ortschaft in einer Bergbaukolonie aufgewachsen war, schon aufregend genug. Sie begriff jetzt, wie albern es von den Myriadern gewesen war, ihre Ansammlung vorgefertigter, einstöckiger Gebäude als eine ›City‹ zu bezeichnen. Die hiesigen Regierungsgebäude ragten zehn oder zwölf Geschosse auf und boten von ihren winddurchfegten Beobachtungsplattformen auf ihren Dächern einen faszinierenden Ausblick auf die umliegende Landschaft. Geschäftige, mit Handelsgütern von allen bekannten Welten volle Läden; von der Dämmerung bis weit nach Einbruch der Dunkelheit belebte Straßen; Feste zu Ehren der Jahreszeiten oder historischer Gestalten; Theater, Musik und Kunst … Das Ganze machte Sass wochenlang geradezu betrunken. Dies hier war die wirkliche Welt, von der sie auf Myriad geträumt hatte: diese farbige, belebte Stadt, die von der Flotte, den Schiffen, die jeden Tag eintrafen und abhoben, mit allen anderen Welten verbunden wurde. Obwohl der Raumhafen hinter der nächsten Hügelkette lag, welche die Stadt von dem Lärm abschirmte, sah Sass gern zu, wie die Shuttles über die bewaldeten Hänge in einen offenen Himmel aufstiegen.
In der Zwischenzeit bekam sie Gelegenheit, einige der anderen Überlebenden des Überfalls auf Myriad zu treffen. Die mürrische und mißtrauische Caris hatte in der Zeit ihrer Gefangenschaft alle Verspieltheit eingebüßt, an die Sass sich erinnerte. Sie hatte niemanden wie Abe gefunden, der ihr half und Hoffnung gab, und war in diesen wenigen Jahren zu einer bitteren alten Frau gealtert.
»Ich wünsche mir nur eine Arbeitsstelle«, sagte sie. »Man sagt mir, ich kann zur Schule gehen.« Ihre Stimme klang flach, war kaum ein
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