Satanica
Behandlung mußte. Das wußten Suko und ich. Es gab keine großen Diskussionen zwischen uns. Wir hoben die bewußtlose Person vorsichtig an. Es war nicht weit bis zum Rover, auf dessen Rücksitz wir die Verletzte niederlegten.
»Ich muß noch mal hin«, sagte Suko.
»Okay.«
Ich wartete im Auto auf ihn. Es war klar, was Suko holen wollte. Den Kopf des Streetworkers. Der Gedanke daran hinterließ bei mir einen Schauer. Fest preßte ich die Lippen zusammen, während ich überlegte, wie die Frau dazu kam, einer Leiche den Kopf abzuschneiden.
Normal war das nicht. Aber dieser Fall lief auch anders. Hier spielte die Vergangenheit in die Gegenwart hinein. Ich brauchte mich nur an eine Zeile aus dem Kampfepos zu erinnern, um zu wissen, wie die Dinge laufen sollten.
Anat hatte schon in der Vergangenheit die Köpfe ihrer Feinde gesammelt. Das würde sie auch in der Gegenwart weiterführen – als Satanica, obwohl sie selbst nicht daran beteiligt war.
Für uns kam es jetzt darauf an, daß die namenlose Frau so rasch wie möglich behandelt wurde. Hoffentlich war ihre Verletzung nicht zu schwer. Sie sollte endlich reden, denn noch wußten wir zuwenig. Bis zum Einbruch der Dunkelheit war ja noch Zeit genug.
Suko näherte sich dem Fahrzeug mit schnellen Schritten. Er trug die Tasche aus Stoff an der rechten Hand, und ich sah deutlich die Ausbuchtung an der rechten Seite.
»Immer möchte ich das auch nicht machen«, sagte er, als er die Hintertür öffnete. Er legte die Tasche vorsichtig zwischen den Sitzen ab.
»Wir werden den Kopf auch im Krankenhaus lassen.«
»Einverstanden. Wie sieht es mit der Frau aus?«
»Moment, ich schaue nach.«
Suko beugte sich so tief, daß er aus meinem Blickfeld verschwand. Als er sich wieder aufrichtete, sagte er: »Sie lebt. Die Wunde ist nicht zu tief, aber sie blutet leider noch.«
»Dann steig ein, wir haben nicht mehr viel Zeit zu verlieren.«
Sekunden später hatte Suko seinen Platz auf der Beifahrerseite eingenommen, und ich startete.
Ich wollte nicht zu schnell fahren, obwohl alles zur Eile drängte. Aber die Wege waren nicht glatt. Unser Wagen wurde durchgeschüttelt, was für die Verletzte auf keinen Fall gut war.
Noch war sie bewußtlos. Sie würde keine Schmerzen haben. Noch nicht.
Suko griff zum Handy. Er rief Sir James an, der sehr gespannt zuhörte.
Dann wandte sich der Inspektor an mich. »Sir James fragt, in welches Krankenhaus wir die Frau und den Kopf bringen?«
Ich hob die Schultern. »Ins nächste. Ich kenne den Namen nicht.«
Suko gab die Antwort weiter. Unser Chef war schlauer. »St. Vincenc.«
Seine Stimme klang so laut, daß ich ihn sogar verstand.
»Gut.«
Suko sprach noch einige Sätze und klärte mich auf, als die Verbindung unterbrochen war.
»Sir James wird dort anrufen und uns avisieren. Auch den Kopf«, fügte er mit kratziger Stimme hinzu. »Ich hoffe nur, daß diese Frau so bald wie möglich wieder reden kann. Wenn nicht…«
Er schwieg, denn er hatte, ebenso wie ich, das Stöhnen aus dem Rückraum vernommen.
Noch waren wir nicht da. Es gab nichts, womit wir ihre Schmerzen lindern konnten.
Aber wir hatten die relativ einsame Gegend schon verlassen und konnten auf einen dichter besiedelten Vorort Londons schauen.
»Die Nacht wird wichtig werden, John«, sagte mein Freund. »Nur die verdammte Nacht.«
Ich nickte. Eine andere Art der Antwort konnte ich mir ersparen…
***
Es war gut, daß sich Sir James schon mit dem Krankenhaus in Verbindung gesetzt hatte, so konnten wir den Fragen entgehen und wurden sofort eingewiesen.
Einen verletzten Menschen zu behandeln, war für das Personal okay, aber einen Kopf angeliefert zu bekommen, stellte schon eine außergewöhnliche Belastung dar.
Ich hatte mich darum gekümmert, und er war in die Pathologie gebracht worden, wo ich mit einem Dr. Morton sprach. Er hatte ihn kurz untersucht, ihn ins Kühlfach gelegt und war anschließend in sein Büro gekommen, wo ich auf ihn wartete. Kopfschüttelnd stand er vor mir.
»Wie kommen Sie nur an eine derartige Gabe?« fragte er mit leiser Stimme und strich über sein dunkelblondes Haar. Im Gegensatz dazu sahen die Augen fast schwarz aus.
»Das ist eine lange Geschichte, Doc, die ihr Ende noch nicht gefunden hat.«
»Das heißt, Sie wollen darüber nicht sprechen?«
»Wäre mir am liebsten.« Ich räusperte mich. »Haben Sie den Kopf denn untersucht?«
Er nickte. »Das habe ich, wenn auch nur flüchtig. Ich kann ihnen sagen, daß er mit einem glatten
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